Goethe in Amerika
„Amerika, du hast es besser“, dichtete Johann Wolfgang von Goethe im Jahr 1827. Er war freilich nie in der Neuen Welt, aber ein großer Bewunderer der Vereinigten Staaten: Ihn faszinierte die Idee, dass die Amerikaner neu anfangen konnten, ganz ohne Altlasten, wie etwa die Europäer. Vor 275 Jahren, am 28. August 1749, kam er in Frankfurt am Main zur Welt. Er starb am 22. März 1832 im Alter von 82 Jahren in Weimar.
Fast 200 Jahre später gelten die USA in vielerlei Hinsicht nicht mehr als politisches Vorbild. Und auch Goethe, der dort einst als eine Art Nationaldichter galt, ist längst nicht mehr jedem bekannt. Sein Name findet sich aber noch immer auf Denkmälern und in Straßennamen wieder – und natürlich im Goethe-Institut.
„Ich kann nicht für die USA als Ganzes sprechen, aber ein bisschen für Chicago und den Mittleren Westen, der sehr stark durch deutsche Traditionen und das deutsche Erbe geprägt ist“, sagt Leonhard Emmerling. Er ist Direktor des Goethe-Instituts in Chicago im Bundesstaat Illinois, eines von sechs Goethe-Instituten in den USA: „Hier ist Goethe doch bekannt. Inwieweit man aber seine Werke liest, das kann ich nicht beurteilen.“
Das Goethe-Institut trägt zwar den Namen des Dichters, Naturforschers und Staatsmanns, ist aber nicht angetreten, um seine Literatur zu verbreiten. „Wir engagieren uns nicht aktiv, um den Bekanntheitsgrad von Herrn Goethe zu erweitern“, sagt Emmerling und lacht. Aber er sei ein guter Namensgeber für das Institut: „Goethe war einer, der mit sehr wenigen Vorurteilen durch die Welt gelaufen ist. Wenn wir ihn als Schriftsteller oder als Menschen sehen, der ein unbändiges Interesse an allem hatte – von der Farbtheorie bis zur Urpflanze – dann steckt viel Goethe in den Instituten.“
Man denke nur an den „West-östlichen Divan“, eine Gedichtsammlung Goethes von 1819, erinnert der Instituts-Direktor. „Es ist eines der ersten Werke, in dem über Kulturen und Sprache hinweg versucht wurde, einen Dialog zu eröffnen. Vor diesem Hintergrund ist er der absolut richtige Mann für uns.“ Denn genau das sei das Mandat des Goethe-Instituts: der kulturelle und der interkulturelle Dialog.
Außerdem gehe es natürlich um den Deutschunterricht. Der ist in den Goethe-Instituten in den USA mittlerweile in den digitalen Raum abgewandert. Eine Folge der Corona-Pandemie, aber auch ein Fingerzeig für die Richtung, in die sich die Institute entwickeln wollen, erklärt Emmerling.
Das Interesse am Sprachenlernen in den USA sei rückläufig, schon seit Jahren sei dieser Trend zu beobachten, sagt Emmerling. „Das Interesse der Amerikaner an Dingen, die außerhalb ihres Kontinents angesiedelt sind, ist entweder sehr gering oder sehr selektiv.“ Die Online-Sprachkurse seien aber vielversprechend, die Zahl der Teilnehmenden steige langsam wieder.
Der Bereich des Sprachenlernens wird derzeit von Washington aus betreut, wo sich das Regionalinstitut befindet. Allerdings soll es aus Kostengründen nach Boston verlegt werden. In Washington soll es künftig nur noch eine kleine Dependance geben, so wie es in Chicago der Fall ist.
„Wir sind hier ein Minibetrieb“, fügt Emmerling hinzu. Acht Mitarbeiter hat das Institut. Gerade ist es in andere Räume umgezogen, um eine finanzielle Entlastung zu schaffen. „Mit unserem Institut in Chicago decken wir nominell den Mittleren Westen ab, also 14 Bundesstaaten. In der Realität tun wir das natürlich nicht.“
Mit den gegebenen Mitteln bietet das Goethe-Institut Chicago Bildungsprogramme an. „Wir wollen mit unseren Angeboten zum einen wichtige Themen adressieren und zum anderen die deutsche Sprache promoten.“ Beispiele sind der Umgang mit Rassismus, Abtreibung oder die Genderfrage.
Die meisten Goethe-Institute in den USA sind an der Ost- und Westküste angesiedelt. Im Landesinneren gibt es über Tausende Kilometer hinweg keines. „Um zumindest etwas präsenter im Landesinneren zu sein, gibt es Überlegungen, zwei neue Institute in St. Louis und in Houston zu eröffnen“, sagt Emmerling. St. Louis im Bundesstaat Missouri liegt wie Chicago im Mittleren Westen der USA, Houston in Texas im Süden.
„In St. Louis wollen wir an das Potenzial der Deutschstämmigen heran. Und Houston ist mittlerweile die drittgrößte Stadt der USA, da ist es sinnvoll, dass wir uns zeigen“, ergänzt Emmerling. Die Verantwortlichen haben die Hoffnung, dass etwas von dem, was das Institut inspiriert und antreibt, auch in den Städten ankommt. „Wir sind nicht naiv. Wir wissen, dass wir das Ruder nicht herumreißen können, das wäre Selbstüberschätzung. Aber wir träumen den Traum der Verständigung und des Dialogs.“