„Girl you know it’s true“ – Aufstieg und Fall von Milli Vanilli

Dramödie über Aufstieg und Fall des Pop-Duos Milli Vanilli, deren Songs durchgängig mit dem Playback-Verfahren eingespielt wurden.

„Jetzt mal ehrlich, Leute. Hättet ihr unsere T-Shirts getragen? Hättet ihr unsere Namen gebrüllt?“ Mit dieser rhetorischen Frage wendet sich Erfolgsproduzent Frank Farian (Matthias Schweighöfer) direkt in die Kamera. Gerade hat er den Zuschauern die talentierten Sänger vorgestellt, die in seinem Haus die Hit-Maschinerie am Laufen halten.

Sympathisch, voller Elan, aber auch etwas moppelig-schwitzend stehen die unscheinbaren Musiker hinter den Mikros des dunklen Aufnahmestudios – Hintermänner, eher was fürs Ohr als fürs Auge. Was für ein Kontrast zu den beiden durchtrainierten jungen Männern, die als Pop-Duo Milli Vanilli auf den hellen Bühnen der Welt Muskeln und Fetzen fliegen ließen.

Ausgerechnet mit dem auf Wahrhaftigkeit pochenden Songtitel „Girl You Know It“s True“ wurde Milli Vanilli Ende der 1980er-Jahre zum weltweit gefeierten Ereignis. Dabei waren weder der von Frank Farian neu abgemischte Song noch die Stimmen wirklich „true“ – zumindest was die beiden schwarzen Performance-Künstler anging. Der aus Paris stammende Fabrice Morvan und der gebürtige Münchner Robert Pilatus lernten sich als Background-Tänzer bei den Dreharbeiten eines Popvideos kennen. Von da an mischten „Rob und Fab“ mit ihren Breakdance-Einlagen das Münchner Nachtleben auf, bis sie von Farians Assistentin Milli entdeckt wurden.

In der heimischen Küche von Farian gibt es dampfende Kartoffelsuppe aus Omas Keramik; die Holzvertäfelung starrt vor sich hin, während der gewiefte Musikproduzent seinen neuen Schützlingen das Blaue vom Himmel verspricht. Er braucht keine Sänger oder Performer; was er braucht, sind Stars. Dafür schmiedet der „Boney M.“-Produzent aus mediokren Songvorlagen dank peppiger Beats und großartiger (Fremd-)Stimmen im Tonstudio wahre Welthits.

Mit ihren athletischen, sexuell aufgeladenen Auftritten erobert Milli Vanilli im Nu die Herzen der „Girls“ und die Sendeplätze von MTV im Sturm – bis eines Tages bei einem Auftritt die Playback-Platte hängenbleibt. Als die Geschöpfe auch noch gegen ihren Schöpfer rebellieren und endlich selbst singen wollen, hat das an Skandalen nicht arme Music-Biz bald einen weiteren: Milli Vanilli, „Grammy“-dekoriert für Hit-Singles wie „Baby Don“t Forget My Number“ und „Blame It on the Rain“, sang auf seinen No.1-Platten wie auch auf den Bühnen dieser Welt keinen einzigen Ton selbst.

Das „Schein statt Sein“ ist es denn auch, um das sich der Film von Simon Verhoeven irgendwo zwischen Satire und Künstlerporträt dreht. Wobei die Figuren immer wieder die sogenannte Vierte Wand durchbrechen und sich ans Publikum wenden, um von einer Karriere zu erzählen, die vornehmlich fremdbestimmt war. Was dabei aus heutiger Sicht allerdings nicht vergessen werden sollte, ist der Umstand, dass Milli Vanilli die einzige deutsche Band ist, die gleich drei Nummer-Eins-Titel in den US-Billboard-Charts platzieren konnte.

Heute mutet dieser Skandal sympathisch altbacken an, weil inzwischen von KI kreierte Werke den Markt fluten und die Unterscheidbarkeit zwischen „echt“, sprich „menschlich“, und „künstlich“ verschwimmen lassen. „Girl You Know It“s True“ zeichnet die Genese des PR-Desasters nach und stellt die Frage, wie die individuelle, aber auch strukturelle Mesalliance aus Gefallsucht und fehlender Selbstbehauptung in die Katastrophe mündete.

Vor allem Rob, der sich in Interviews mit Elvis Presley verglich und am tiefsten stürzte, berichtet von rassistischen Erfahrungen als gefühlt einziger schwarzer Junge inmitten der Münchner Piefigkeit. Seine Eltern wollten mit seiner Adaption ein Statement setzen. 20 Jahre später schämen sie sich, als ihr Sohn die Lehre abbricht und im Streetdance-Look alle Blicke auf sich zieht.

Es war eine spießige, bigotte Zeit, in der nicht nur Frank Farian mit seiner Aneignung schwarzer Musikkultur in eine riesige Vermarktungslücke stieß. Für diese Problematik besitzt der Film aber nur wenig Sinn. Statt einer tiefergehenden Analyse stürzt sich die Dramödie lieber in den Pomp der 1980er-Jahre-Outfits und der Clip-Ästhetik, die ein neues Zeitalter des MTV-Stardoms einläuteten.