Artikel teilen:

Gipfel der Leichtigkeit: An Ferragosto feiert Italien den Sommer

„Chiuso per Ferie“ – wegen Urlaubs geschlossen. Dieses Schild hängt in Rom derzeit an gefühlt jedem Restaurant, zumindest außerhalb des touristisch geprägten Zentrums. Und nicht nur die Speisegaststätten machen Pause: Auf dem täglichen Gemüsemarkt des Wohnviertels Monteverde, wo normalerweise in drei Reihen die Waren feilgeboten werden, ist nur noch ein einziger tapferer Mensch mit seinem Stand vertreten. Selbst an der Apotheke ums Eck hängt der Hinweis, dass in diesen Tagen die Türe geschlossen bleibt.

Wer sich fragt, was hier geschieht, findet die Antwort in nur einem Wort: Ferragosto. Der 15. August ist nicht nur in Rom, sondern in ganz Italien der wichtigste Feiertag. Ähnlich wie in Deutschland bereits im Juli die Frage aufkommt: „Was machst du an Silvester?“ sind in Italien die Ferragosto-Pläne das Maß aller Dinge. Lautet die Antwort nicht „Meer“ oder „Berge“, sind mitleidige Blicke garantiert. Rom bleibt für ein paar Tage weitgehend ohne Römer zurück.

Der 15. August ist mehr als nur ein Feiertag. Es ist ein tief in der italienischen Kultur verwurzeltes Phänomen, das sowohl historische, christliche als auch moderne Traditionen vereint. Im katholischen Kalender wird am 15. August Mariä Himmelfahrt gefeiert. Die Ursprünge des Festes sind nicht ganz klar, in der Bibel wird eine leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel nicht explizit beschrieben. Laut „Vaticannews“ lässt sich der Glaube daran aber bereits im 7. Jahrhundert belegen. 1950 erhob Papst Pius XII. dies dann zum Dogma der römisch-katholischen Kirche.

Doch in Italien platzen nicht die Kirchen Mitte August aus allen Nähten – es sind die Zufahrtsstraßen zum Strand. Der Weg in den Gottesdienst ist an diesem Tag selbst in nächster Nähe zum Vatikan zweitrangig. Ferragosto assoziieren die meisten stattdessen mit Sommer, Sonne, Strand – und Essen. Es ist der Höhepunkt der dreimonatigen Ferien, der Gipfel der Lebensfreude und Leichtigkeit. Der nationale Feiertag hat für die meisten Menschen sogar mehr Bedeutung als Weihnachten oder Ostern. Es ist üblich, ihn in großer Runde mit der ganzen Familie oder dem Freundeskreis zu feiern. Denn eins ist auch klar: Ist Ferragosto vorbei, geht schon bald der Ernst des Lebens wieder los.

Der Legende nach hat Ferragosto seinen Ursprung weit vor der Aufnahme des Tages in den christlichen Kalender. Schon im Jahr 18 vor Christus hat der römische Kaiser Augustus eine Zeit der Erholung nach dem Einholen der Ernte eingeführt – der Tag wurde Feriae Augusti genannt (Die Ruhezeit des Augustus).

Die Ausflüge ans Meer hingegen folgen einer Tradition, die sich während der 20-jährigen faschistischen Herrschaft Anfang des 20. Jahrhunderts etabliert hat: Unter Diktator Benito Mussolini wurden Zugfahrten zu günstigen Preisen organisiert, um auch armen Menschen die Möglichkeit zu geben, im Sommer von zu Hause herauszukommen und das Meer oder die Berge zu sehen.

Um die Versorgung musste sich jeder selbst kümmern – und so entstand in diesem Zusammenhang der Brauch, das Essen von zu Hause mitzubringen. Noch heute wird hier einiges aufgefahren, das Picknick am Meer wird nicht selten zum Festschmaus mit Nudelaufläufen, Reissalaten, Antipasti.

So voll die Strandabschnitte, so leer die Städte: Früher war es sogar üblich, dass nicht nur die Geschäfte, sondern auch die Industriebetriebe den gesamten August über geschlossen wurden. Heute haben in Rom zumindest noch die Vatikanischen Museen am 15. August geschlossen. Ansonsten hat sich der Ferragosto in den vergangenen Jahren doch gewandelt: Denn selbst wenn die Italiener aus ihren Städten fliehen, die Touristen strömen heran wie eh und je. Die meisten Attraktionen haben daher auch Mitte August geöffnet, noch dazu veranstalten einige Städte extra Events wie Freiluftkino oder Konzerte für die Besucher und die wenigen Daheimgebliebenen.

Ein klassisches italienisches Sprichwort hallt aber auch in diesen Tagen durch die Bars, wenn sich die Nachbarn einen „Buon Ferragosto“ wünschen. Dann folgt nicht selten der Zusatz: „Se ti viene un infarto a Ferragosto, sei spacciato“ – wenn du an Ferragosto einen Herzinfarkt bekommst, bist du erledigt. Angelehnt ist dies an die urbane Legende, dass selbst die Krankenhäuser an dem Tag geschlossen haben. Die Tageszeitungen werden auch in diesem Jahr sicher wieder ihren Service-Artikel verbreiten: „An wen wendet man sich, wenn’s einem an Ferragosto schlecht geht.“