Ghanaischer Künstler verhüllt ehemaliges Kaufhaus mit Jutesäcken
Verhüllungskünstler Ibrahim Mahama hat sich ein leerstehendes Kaufhaus in Osnabrück ausgesucht, um hunderte Jutesäcke an die Fassade zu hängen. Dabei helfen ihm Schülerinnen des Kunst-Leistungskurses.
Als John, Rosi und Mahammad in Ghana Holzkohle in Jutesäcken geliefert bekamen, ahnten sie wohl kaum, dass die mit ihren Namen versehenen Säcke einmal in Osnabrück landen würden. Jetzt schmücken diese und Tausende weitere Jutesäcke aneinandergenäht die Nord-Ost-Fassade der ehemaligen Galeria Kaufhof in der niedersächsischen Stadt. Bis zum 8. Juli soll bis auf die Rückseite das gesamte Gebäude verhüllt werden. Initiator ist der international renommierte ghanaische Künstler Ibrahim Mahama.
Im Inneren des Gebäudes, das seit 2020 leer steht, sitzen Malin, Antonia (beide 18) und Mia (17) in der vollständig entkernten ersten Etage auf dem Fußboden. Mit großer Nadel und einem Jutefaden nähen sie riesige Stoffbahnen aneinander.
Osnabrücker Schülerinnen helfen beim Nähen
Die Zwölfklässlerinnen der Ursula-Schule haben sich wie zahlreiche weitere Osnabrücker gemeldet, um dem Künstler beim Nähen zu helfen. Zwischen fünf bis 25 Freiwillige seien jeden Tag dabei, sagt Kuratorin Bettina Klein. Ein Team von Fassadenkletterern bringt die Stoffbahnen nach und nach an dem komplett eingerüsteten ehemaligen Kaufhaus an. Am 8. Juli wird das Projekt der Kunsthalle Osnabrück offiziell eröffnet. Bis zum 1. Oktober bleibt das Gebäude verhüllt.
Direkt neben den Schülerinnen schwingt auch Mahama seine Nadel. Die Mädchen sind begeistert, dass sie dem berühmten Künstler so nahe kommen. „Und wir wirken ganz praktisch an einem echten Kunstwerk mit“, sagt Malin.
Auch der geschichtliche Hintergrund der Performance interessiert die Schülerinnen aus dem Kunst-Leistungskurs. „Es ist krass, dass die kolonialen Handelsrouten etwas mit der Stadt zu tun haben, in der wir leben“, sagt Mia. Osnabrück und die westfälische Region waren seit dem 14. Jahrhundert bekannt für die Leinenproduktion, erläutert Bettina Klein. Dieses Leinen wurde auch als Tauschmittel für Sklaven aus den Küstenregionen Afrikas genutzt.
Osnabrück als Schauplatz ist kein Zufall
Diese Verflechtungen sind ein Grund, weshalb Mahama, der in Berlin lebt, sich dieses Mal Osnabrück als Schauplatz ausgesucht hat. Er hat bereits zahlreiche Gebäude verhüllt, darunter das Nationaltheater in der ghanaischen Hauptstadt Accra und die Kasseler Torwache für die Documenta 14 vor sechs Jahren. Für seine Aktionen verwendet er in der Regel zerschlissene und von Gebrauchsspuren der Arbeiter beschädigte Jutesäcke, die er im Tausch gegen neue erhält.
In Ghana werden Jutesäcke seit Jahrhunderten zum Verpacken und Transportieren von Kakao, Kaffee, Reis, Bohnen und zuletzt Holzkohle verwendet. Die Säcke würden mehrfach genutzt, erklärt die Kuratorin. „Zuerst für die wertvollen Kaffee- und Kakaobohnen, dann für Reis und zuletzt für Holzkohle.“ Mahama sagt, ihm sei es wichtig, möglichst verschlissene Stoffe zu verwenden, in denen sich die Geschichte widerspiegele.
Traditionelle Gewänder verdeutlichen Nachhaltigkeitsgedanken
Neben Jutesäcken, die mit ihm von Kunstaktion zu Kunstaktion reisen, verwendet der Künstler auch ghanaischen Gonja-Baumwollstoff, der eigens für die Osnabrücker Aktion gewebt wurde. Darauf nähen er und seine jungen Helferinnen traditionelle Gewänder. „Einige sind mehr als 100 Jahre alt“, erklärt Mahama. „Sie werden von Generation zu Generation weitergegeben und nie gewaschen. So sind Dreck und Schweiß Teil dieser Gewänder geworden.“
Mette und Mona, beide 18 Jahre alt und ebenfalls Schülerinnen des Kunst-Leistungskurses, horchen auf: „Wieviel diese Gewänder schon gesehen haben“, sagt Mette. Sie und ihre Freundin hatten bislang keine Vorstellung davon, wie nachhaltig die Menschen in Ghana mit ihrer Kleidung umgehen. „Und hier werfen wir die Sachen nach ein, zwei Jahren einfach weg“, sagt Mona. „Da muss man ja schon sagen, dass hier einiges falsch läuft.“