Gewählt und erwählt

Die Gesellschaft zur Zeit der Bibel ist hierarchisch organisiert – demokratische Ansätze finden sich kaum. Trotzdem gibt es Möglichkeiten der Wahl. Eine Spurensuche.

Wer am Sonntag zur Europa-Wahl geht, fragt sich vielleicht, wie menschliche Entscheidung und Gottes Wille in einer Wahlentscheidung vereinbart werden können. Zu biblischen Zeiten wurde diese Frage oft per Los-Orakel gelöst. Der Losentscheid galt nicht als Zufallsergebnis, sondern als göttliche Willensbekundung. Zu Beginn der Schöpfung stand bereits eine viel umfassendere Entscheidung: Gott wählte den Menschen zu seinem Gegenüber. Von dieser ersten Wahl ist der Lauf der Geschichte bestimmt.

König per Los-Wahl (1.Samuel 10, 17-27): Das Volk Israel, aus der ägyptischen Sklaverei im „gelobten Land“ angekommen, forderte einen König. Etwas missmutig hilft der Prophet Samuel bei der Suche nach einem geeigneten Monarchen. Er lässt alle Israeliten antreten, dann wirft er das Los. Es fällt auf Saul, einen übergroßen Mann aus dem Stamm Benjamin. „Es lebe der König!“, skandiert die anwesende Menge. Doch bildet sich auch eine Opposition. „Ruchlose Leute“ fragen: „Was soll der uns helfen?“ Sie strafen ihn mit bösen Blicken und bringen ihm keine Geschenke.

Wahlmanipulation in Jerusalem (Matthäus 27,15-26): Wahlmanipulation spielte in der Leidensgeschichte Jesu eine vielleicht entscheidende Rolle. Einem alten Jerusalemer Brauch nach fragte der römische Statthalter Pontius Pilatus, welchen der zum Tode Verurteilten er freilassen sollte: den Kriminellen Jesus Barrabas oder den als Gotteslästerer inhaftierten Wanderprediger Jesus? Die jüdischen Autoritäten empfanden die Lehren Jesu als Bedrohung. Also überredeten sie das Wahlvolk, für die Freilassung des Kriminellen zu stimmen. So kommt es. „Lass ihn kreuzigen“, ruft die aufgestachelte Menge.

Nachwahl des zwölften Apostels  (Apostelgeschichte 1, 15-26): „Da waren es nur noch elf“: Mit dem Tod des Verräters Judas Iskarioth fehlte der Urchristenheit ein Apos­tel, um die heilige Zwölfzahl zu erfüllen. Also versammelte Petrus rund 120 Jesus-Gläubige. Zwei von ihnen stehen als Kandidaten zur Wahl, Judas‘ Nachfolger zu werden. Gewählt wird nicht mit Stimmzetteln, sondern per Losentscheid. Das Los fällt auf Matthias – Kandidat Josef „Justus“ Barsabbas hat das Nachsehen.   

Die Wahl der sieben Armenpfleger (Apostelgeschichte 6,1-7): Als die Urkirche in Jerusalm wuchs, mussten Aufgaben verteilt werden. Der engere Jüngerkreis widmete sich der Verkündigung und dem Gebet und vernachlässigte darüber die Armenpflege. Auf einer Gemeindeversammlung werden (wie, berichtet die Bibel nicht) die ersten Diakone der Christenheit gewählt. Eigentlich seltsam, dass die meisten ihrer Namen unbekannt blieben: Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus. Nur Stephanus erlangte traurige Berühmtheit: Er starb als der erste christliche Märtyrer.

Das Gute wollen, das Böse wählen (Römer 7,15-25): Eigentlich könnte das Leben so einfach sein: Man erkennt, was gut ist, und handelt danach. Die Lebenserfahrung zeigt, dass es so einfach nicht ist. Der Apostel Paulus bringt es auf den Punkt: Oft tut man genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich für richtig hält. Man wählt das Böse, obgleich man das Gute will. Den Glaube an Jesus Christus nennt Paulus als Ausweg aus dem Dilemma. Warum? Weil wir seit dessen Kreuzestod nicht mehr „nach dem Fleische“, sondern „im Geist“ leben.

Tod oder Leben wählen? (Philipper 1, 21-26): Apostel Paulus war zeitweilig von Todessehnsüchten geplagt. Der Tod würde ihn zu Christus führen, war er überzeugt – warum also dann eigentlich noch leben, wenn „Sterben“ ein „Gewinn“ ist? „Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden“, bekannte Paulus bemerkenswert aufrichtig. In der freien Entscheidung zwischen Tod und Leben wählte er dann doch das Leben: Seine Begründung: Nur so könne er den Glauben fördern und „Frucht schaffen“.

Am Anfang war die Wahl (Epheser 1,4f.; Jakobus 2,5; 1. Korinther 1,27 f.): Noch vor dem ersten Schöpfungstag fand eine Wahl statt. Gott habe – „ehe der Welt Grund gelegt war“ –  die Menschen zum Heil erwählt, „dass wir heilig und untadelig sein sollen“. Diese Theorie des Apostels Paulus ist einigermaßen unbegreiflich und hat zu großen Verwirrungen geführt. Reformator Johannes Calvin bastelte aus diesem Vers seine umstrittene „doppelte Prädestinationslehre“. Ob die Juden das einzige erwählte Volk sind, ist Streitthema der Urchristenheit: Ihrer Meinung nach zeigen Tod und Auferstehung Jesu, dass auch die Heiden zu den Erwählten gehören. Aber auch von ganz anderen Erwählungen spricht das Neue Testament. Da heißt es, die Armen, die Geringen und die Verachteten sind erwählt.