Geteiltes Leid

Digitale „Trostpartner“-Vermittlung bringt Menschen mit einem ähnlichen Schicksal in ihrer Trauer zusammen

Von Dieter Sell (epd)

Es war wie ein Blitz aus heiterem Himmel, alles ging ganz schnell: Ein Auto erfasste den Verlobten von Christin M., er starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Ähnlich war es bei Tabea L., die ihren Freund durch einen Motorradunfall verlor. Beide konnten sich nicht von ihrem Partner verabschieden. Auf der Suche nach jemandem, der sie in ihrem Schmerz versteht, begegneten sich die jungen Frauen in „Trostbooten“ auf Facebook – den Vorläufern des Internet-Portals „Trosthelden“: Es will Menschen verbinden, die einen ähnlichen Schicksalsschlag erlebt haben. Per Algorithmus. 

„Es war schön, jemanden zu finden, der das Gleiche mitgemacht hat“, erzählt Christin aus Mainz. Und die Erfurterin Tabea bestätigt, zwischen ihnen bestehe ein unsichtbares Band. Das sei „wie eine Seelenverwandtschaft“.

„Trosthelden“ ist seit zwei Monaten online und wurde von Jennifer und Hendrik Lind aus dem niedersächsischen Tostedt bei Hamburg initiiert. Das Thema Trauer und Trost beschäftigt die beiden schon länger. Vor einigen Jahren erdachten sie aufgrund eigener Erfahrungen in ihrer Patchworkfamilie Nilpferd ähnliche Kuscheltiere als Trostwesen für Kinder, die eine Trennung oder einen Verlust verarbeiten müssen. Genäht sind sie etwa aus den Lieblings-T-Shirts des Menschen, der gestorben ist.

Heldenhaft: Trost spenden und empfangen

„Trosthelden“ ist ihr neuestes Projekt. „Wer sich findet, empfängt nicht nur Trost, sondern gibt ihn auch – das ist heldenhaft“, so erklärt Hendrik Lind den Namen des Portals. Noch ist das Angebot kostenlos, später soll damit Geld verdient werden. Ein Investor habe einen hohen sechsstelligen Betrag gegeben.

Aus ihrer bisherigen Arbeit mit den Trosttieren hätten sie zu zahlreichen Trauernden Kontakt bekommen, sagt Hendrik Lind. „Dabei zeigte sich immer wieder, dass viele Menschen niemanden haben, der sie wirklich versteht.“

Leichter sei es meist, wenn zwei Menschen etwas Ähnliches erlebt hätten, bei gleichen Lebensumständen und einem ähnlichen Umgang mit der Trauer. „Dann sprechen sie die gleiche Trauersprache, spüren Gemeinsamkeiten und fühlen sich verstanden.“

Ein Algorithmus sorgt für passende „Trostpartner“

Damit „Trostpartner“ mit ähnlichen Erfahrungen überhaupt zusammenkommen, haben die Linds unterstützt von Expertinnen und Experten einen Fragebogen entwickelt, der ähnlich wie bei einer Online-Partnerbörse für das richtige „Matching“ sorgt, für die passende Zuordnung. Patchworkfamilie oder langjährige Beziehung, rationaler oder emotionaler Mensch, verdrängend oder offensiv im Umgang mit der Trauer, Wohnort, Ausbildung, Beruf, Kinder: Selbsteinschätzungen und Merkmale wie diese sollen zu einem Profil führen, das am Ende mit allen anderen Mitgliedern aus der Datenbank der „Trosthelden“ verglichen und auf Gemeinsamkeiten überprüft wird.

„Wir haben ein Jahr am Algorithmus gearbeitet“, sagt Geschäftsführer Lind. Unterstützt wurden die Gründer in der Entwicklung von der Hamburger Psychologin Sandra Spreemann, die früher bei der Online-Partneragentur „Parship“ gearbeitet hat. Ihr Spezialgebiet: sozialpsychologisches Wissen nutzbringend in der digitalen Welt anwenden.

„Unser Ziel ist es, Menschen wieder in die Handlungsfähigkeit zu bringen“, betont Hendrik Lind und erzählt von Aufgaben, die den Mitgliedern monatlich gestellt und per Newsletter verschickt werden. Lind nennt sie „Helden-Challenges“, Übungen, die herausfordern und im Trauerprozess unterstützen sollen: Unbekanntes ausprobieren, nach Momenten der Dankbarkeit suchen, aufmerksam sein für schöne Dinge, auch wenn sie klein sind.

Christin und Tabea jedenfalls, das ist der Eindruck von Hendrik Lind, hätten sich gegenseitig „ein Stück weit das Leben gerettet“. Die Beziehung der jungen Frauen gehe weit über den digitalen Kontakt hinaus: „Sie haben sich für einen gemeinsamen Urlaub verabredet. Sie brauchen sich nur anzusehen und wissen, was die jeweils andere braucht.“