Geschwächt und bedroht: Zu Besuch in einer Fledermaus-Rettungsstation

Kaija Spruck betreibt eine Auffangstation für verletzte Fledermäuse. Manche Babys zieht sie mit der Hand auf. Wer fliegen kann, wird wieder freigelassen. Doch in der Natur warten viele Gefahren.

Manche Fledermaus-Babys zieht Kaija Spruck mit der Hand auf.
Manche Fledermaus-Babys zieht Kaija Spruck mit der Hand auf.epd-bild / Joern von Lutzau

Das Fledermaus-Zimmer ist der dunkelste Raum im Haus. Kaija Spruck geht zu einer Voliere und nimmt vorsichtig ein kleines plüschiges Tier heraus: „Das ist der Gustav.“ Mit geübtem Griff zieht sie vorsichtig den Flügel der Fledermaus auseinander. Die Flughaut hat einen Riss, wurde vermutlich durch eine Katze verletzt. „Wir dachten, Gustav müsse für immer hierbleiben. Aber der Flügel wächst wieder zusammen“, sagt Spruck. In ihrem Haus am Waldrand von Marburg betreibt sie eine Fledermaus-Rettungsstation – ehrenamtlich. Rund 50 Tiere päppelt sie pro Jahr auf. Fast alle kommen durch, wie sie erzählt.

Zurzeit leben elf Fledermäuse bei ihr in der Auffangstation „Alte Zwergenschänke“, einem ehemaligen Gasthaus. Sechs sind noch Babys, vier zieht sie mit der Hand auf. Die jüngeren Tiere müssen alle zwei bis drei Stunden gefüttert werden. Spruck verwendet dafür eine Welpen-Aufzuchtmilch. Klein wie Gummibärchen sind die Babys. Mit einer Pipette tröpfelt sie einer kleinen Fledermaus die Milch ins Maul.

25 Fledermausarten in Gefahr

Jede Fledermaus, die auf dem Boden sitze, brauche Hilfe, erklärt Kaija Spruck. Tierärzte und Naturschutzbehörden kennen die Adressen der Fledermaus-Auffangstationen. Der Naturschutzbund Nabu unterhält auch ein Fledermaus-Notruftelefon.

Insgesamt 25 verschiedene Fledermaus-Arten leben in Deutschland, viele von ihnen sind bedroht. Naturschutzorganisationen nennen dafür eine Reihe von Gründen: Es gibt weniger Insekten, von denen sich Fledermäuse ernähren. Umweltgifte machen ihnen zu schaffen, sie verlieren ihre Quartiere, wenn Bäume gefällt und alte Gebäude abgerissen werden. Neue Häuser und Straßen stören ihre Flugrouten.

Mit einer Pipette tröpfelt Spruck einer winzigen Fledermaus die Milch ins Maul
Mit einer Pipette tröpfelt Spruck einer winzigen Fledermaus die Milch ins Maulepd-bild / Joern von Lutzau

Zwergfledermäuse fressen Mücken, von denen gebe es genug, erklärt Kaija Spruck. Aber Arten, die auf Schmetterlinge spezialisiert sind, haben es schwer. Gustav beispielsweise gehört zu den „Großen Abendseglern“, die in dicken alten Bäumen wohnen, die oft gefällt werden. Um über die Tiere zu informieren, laden Umweltverbände immer am letzten August-Wochenende zur internationalen Fledermausnacht „Batnight“ ein, mit vielen Aktionen und Veranstaltungen. Dieses Jahr ist der Termin am 26. und 27. August.

Von Fledermäusen über Corona-Viren lernen

Oft kommen Kindergruppen zu Besuch in Sprucks Auffangstation, die vom Veterinäramt abgenommen und von der Oberen Naturschutzbehörde genehmigt ist. Auf dem Boden steht eine Kiste mit Puzzles und Bilderbüchern, in einer Vitrine liegen Kuscheltiere. Die echten Fledermäuse dürfen die kleinen Besucher nicht anfassen, denn die Tiere können Krankheiten übertragen. Kaija Spruck ist gegen Tollwut geimpft. „Aber ich fasse die Tiere auch so an, dass sie mich nicht beißen.“

Tatsächlich seien Fledermäuse Reservoire für bestimmte Viren, etwa Corona- oder Ebolaviren, sagt der Genomwissenschaftler Michael Hiller von der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt am Main. Offenbar zirkulieren die für Menschen so gefährlichen Viren in den Populationen, doch zeigen Fledermäuse kaum Symptome. „Das Spannende ist: Wir können von Fledermäusen lernen, wie man Infektionen ohne Schaden überstehen kann.“

Hiller und seine Kollegen analysieren dafür das Genom der Tiere. Die Evolution habe bestimmte Fähigkeiten hervorgebracht, die Fledermäuse für die Forschung interessant machten: Sie würden, gemessen an ihrem Körpergewicht, sehr alt und „sind bis zu ihrem Lebensende fit“. Sie bekommen wenige Krankheiten, selten Krebs. Einige Arten haben sich auf eine extrem zuckerreiche Nahrung spezialisiert. Ein Ziel der Forschenden ist es, die genetischen Grundlagen zu verstehen und eines Tages Medikamente zu entwickeln, die Krankheiten bei Menschen heilen.

Die Babys verlassen das Zuhause

Dem Experten bereitet es Sorgen, dass Fledermäuse weltweit bedroht sind. „Es ist sehr wichtig, dass wir die Lebensräume erhalten und den Eintrag von Pestiziden in die Umwelt verringern.“

Einen kleinen Beitrag zum Erhalt der Fledermäuse leistet auch Kaija Spruck mit ihrer Auffangstation. „Wer fliegen kann, wird freigelassen“, sagt sie. In einer Außenvoliere lebt eine Fledermaus-Mutter, die kürzlich Zwillinge bekam. Ihr fehlt ein Finger, in der Natur würde sie verhungern. Sie wird in der Zwergenschänke bleiben und dort versorgt werden. Aber ihre Babys sind bald alt genug und können in die freie Natur.