„Genug gelacht, jetzt ist Fernsehfassenacht“

Schon fast zwei Stunden plätschert die Fernsehfastnachtssitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ vor sich hin, als zwei Gehilfen einen schlaksigen Mann mit bunter Uniform und viel zu großen Schuhen auf einem kleinen Thron auf die Bühne tragen. Der viertelstündige Auftritt des Mainzer Fastnachts-Aktiven Herbert Bonewitz in der Rolle des vertrottelten Karnevalsprinzen „Bibi“ sollte Fastnachts- und Fernsehgeschichte schreiben: In der Tradition der historischen Hofnarren hält Bonewitz den Vereinsfunktionären aus dem Fastnachtskomitee und den Mainzer Honoratioren unten im Publikum den Spiegel vor.

„Es war ein grandioser Vortrag“, erinnert sich der Publizist und Fastnachts-Experte Günter Schenk, „das Genialste, was ich bis dahin aus der Mainzer Fastnacht gesehen hatte.“ Vor Bonewitz habe sich noch niemand jemals etwas Derartiges getraut. 50 Jahre ist der legendäre Auftritt vom 22. Februar 1974 jetzt her.

In der Bütt klagt „Prinz Bibi“ von seinen Erfahrungen mit den „höchsten Mützenträgern“ der Fastnachtsvereine: „Die bilden in ihrer Gänze so eine Art bundesdeutscher Humor-Mafia.“ Diese Leute würden die Fastnacht nicht ernst nehmen, fügt er hinzu: „Die nehmen sie todernst.“ Die Darbietungen seien kaum mehr als „synthetisches Frohsinns-Gelee“ – mit anderen Worten „Jokus in Aspik“. Es folgen Seitenhiebe auf die seit Jahren immer wieder gebuchten selben Fastnachtsstars wie den singenden Dachdeckermeister Ernst Neger („Humba Täterä“) – und auf die Verantwortlichen bei den Sendern. Die agierten nach dem Motto: „Spaß beseit‘, genug gelacht, jetzt ist Fernsehfassenacht.“

Einige Gäste im Saal schauen verdattert, aber die meisten biegen sich vor Lachen. Doch was 50 Jahre später vielleicht als halbwegs harmloser Spaß dahergekommen wäre, stößt 1974 dem Fastnachts-Establishment sauer auf. Denn tatsächlich trifft der trottelige Prinz einen wunden Punkt: Legendär sind zu diesem Zeitpunkt beispielsweise die alles andere als witzigen Reibereien zwischen den vier großen Mainzer Vereinen darüber, wessen Aktive wie viel Sendezeit bei „Mainz bleibt Mainz“ zugestanden bekommen.

Mehr als 31 Millionen Menschen verfolgten die Abrechnung von „Prinz Bibi“ mit der „eigenen Sippe“ an den Bildschirmen, eine Einschaltquote von – für heutige Verhältnisse sagenhaften – 68 Prozent meldete der Südwestfunk. Als „Nestbeschmutzer“ sei sein Vater im Anschluss betitelt worden, berichtet Michael Bonewitz, der Sohn des 2019 verstorbenen Spaßmachers.

Bereits zwei Jahre vor seinem TV-Vortrag hatte sich Herbert Bonewitz – im Hauptberuf langjähriger Werbeleiter beim Toilettenpapier-Hersteller Hakle – erstmals bei einer Fastnachtssitzung mit kritischen Untertönen zu Wort gemeldet. „Lieb‘ Fassenacht musst wachsam sein, sonst schläft ganz Deutschland dir am Bildschirm ein“, dichtete er 1972. Zensurversuchen der Senderverantwortlichen schlug er ein Schnippchen, indem er sich standhaft weigerte, Manuskripte seiner Vorträge einzureichen, die Texte lernte er im Gegensatz zu den anderen Büttenrednern stattdessen auswendig.

Weil er mit seinem frechen Witz und seiner gekonnten Wortakrobatik von Presse und Publikum gleichermaßen geliebt wurde, ließen die Vereine ihn zunächst trotzdem weiter auftreten. Für Herbert Bonewitz war die Fastnacht ein Volksfest. „Mein Hauptangriffsziel war der von mir so genannte Pracht-, Prunk- und Protz-Karnevalismus gewesen: ein vornehmer Gesellschaftskarneval“, schrieb er später in seiner Biografie. Und all die Politiker im Saal seien sowieso nur daran interessiert gewesen, von den Kameras eingefangen zu werden.

Als Bonewitz 1975, ein Jahr nach dem „Prinz Bibi“-Auftritt, nicht mehr mit einer Solonummer in der Fernsehsitzung auftauchte, wurde sein Fall zum Politikum. Bundesweit mutmaßten Zeitungskommentatoren, die mächtigen Vereinsfunktionäre oder die Fernsehleute hätten den gefeierten Fastnachtsstar aus dem Programm gedrängt, was der Künstler aber dementierte.

Tatsächlich sei die Rolle als Prinz zum Wendepunkt im Leben von Bonewitz geworden, urteilt der Fastnachts-Kenner Schenk: „Mit seiner Kritik ist er eigentlich gegen die Wand gefahren.“ Die Leute im Saal, die er genau genommen beschimpft habe, hätten mehrheitlich geklatscht und gelacht. Aber geändert habe sich nichts.

Herbert Bonewitz wechselte daraufhin das Genre, nahm Kontakt zum Mainzer Kabarett-Theater „unterhaus“ auf. Dort trat er schon bald so erfolgreich auf, dass er schließlich seinen eigentlichen Beruf an den Nagel hängte. Die Mainzer standen Schlange, um den aufmüpfigen „Fastnachts-Revoluzzer“ zu sehen. Der Titel des ersten Soloprogramms: „Ein Narr packt aus“.