Geißeltierchen unter Druck

Es besteht nur aus einer einzigen Zelle, überlebt aber auch unter brutalstem Druck: Das Cafeteria-Geißeltierchen ist der „Einzeller des Jahres 2024“. Nachgewiesen wurde die sonderbare Lebensform sogar in fast 8.400 Metern Meerestiefe, erläutert die Deutsche Gesellschaft für Protozoologie (Köln), die das Tierchen in diesem Jahr auf den Schild gehoben hat. Aber auch dicht unter der Oberfläche fühlt sich Cafeteria mit seinen zwei Geißeln offenkundig wohl. Ob das Wasser extrem salzig oder süß ist – mit beidem kann das Tierchen leben.

So kreativ der Name des Einzellers klingt, so einfach ist er erklärt. Die beiden Wissenschaftler Tom Fenchel (Dänemark) und David Patterson (Nordirland) standen in den 1980er Jahren vor der Aufgabe, neu entdeckten Geißeltierchen aus der Nähe des Öresunds Namen zu geben. In einer Cafeteria dachten sie sich passende aus – und da eine Gattung an die Form einer Kaffeetasse erinnerte, bekam sie den ungewöhnlichen Namen.

Die zwei Geißeln des nur drei bis zehn Mikrometer großen Tierchens weisen in entgegengesetzte Richtungen. Die vordere kann wie ein kleiner Frontpropeller Wasser hin zum Zellkörper lenken. Das wird Bakterien zum Verhängnis – denn von denen ernährt sich Cafeteria, weshalb die Art auch als „Räuber“ bezeichnet wird. Die hintere Geißel hat die Funktion, den Einzeller bei Bedarf an einer Oberfläche zu befestigen. Auf sexuelles Vergnügen muss das Geißeltierchen verzichten, bei der Vermehrung setzt es erfolgreich auf Zellteilung.

Verblüffend ist der Antrieb der Geißeln, die auch Flagellen genannt werden. Sie sitzen an einem biologischen Elektro-Motor, der durch die Energie aus unterschiedlichen Konzentrationen von Protonen an der Zellmembran betrieben wird. Dabei erreichen sie rund 50 Umdrehungen pro Sekunde. Es wirkt wie große Ingenieurskunst, wie sich auf minimalem Raum Eiweißmoleküle zu einem leistungsstarken Bio-Antrieb zusammenfügen.

Verbreitet ist Cafeteria in allen Weltmeeren. Das erste Tierchen wurde im Nordatlantik entdeckt, inzwischen gibt es auch Funde im Mittelmeer, in der Ostsee, im Indischen Ozean, im Pazifik und sogar in der Atacama-Wüste in Chile.

Obwohl Baden-Württemberg nicht am Meer liegt, wird auch in diesem Bundesland zu dem Einzeller geforscht, allerdings aus einem speziellen Grund. Matthias Fischer vom Heidelberger Max-Planck-Institut für medizinische Forschung widmete sich als Doktorand in den vergangenen Jahren sogenannten Riesenviren, die sich als Parasiten in das Geißeltierchen einnisten. Dabei untersuchte er Proben aus verschiedenen Ozeanen und kam dem geheimnisvollen Zusammenwirken von Riesenviren und Miniviren im Organismus von Cafeteria auf die Spur.

Die ökologische Bedeutung des Cafeteria-Geißeltierchens sehen Forscher vor allem im Aufbau der Nahrungskette. Es gilt als Bindeglied zwischen einfachsten und höheren Lebewesen und kann etwa Mineralien in sich speichern, die dann Fressfeinde in sich aufnehmen. Ein unmittelbarer Nutzen für den Menschen, etwa für medizinische Produkte, ließ sich bislang nicht finden.