Gedenkstättenchefin sieht Bildungsarbeit gefordert

Brandenburgs NS-Gedenkstätten wollen mit ihrer Bildungsarbeit stärker in die Gesellschaft hineinwirken. „Wir sind schockiert über die Ausmaße von Antisemitismus und Rechtsextremismus und über das Schwinden der Grenzen des Sag- und Machbaren in der Gesellschaft“, sagte die Politikwissenschaftlerin Andrea Genest vom Direktorium der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es müsse nun auch selbstkritisch gefragt werden, ob mit der Bildungsarbeit diejenigen erreicht werden, die damit erreicht werden sollen. Die Stiftung hat ihren Sitz in Oranienburg.

„Vielleicht müssen wir noch stärker den Bogen von den historischen Erfahrungen des Nationalsozialismus zur Lebenswirklichkeit junger Menschen schlagen“, sagte Genest. Es müsse deutlicher gemacht werden, „dass Demokratie ein politisches System ist, an dem stetig gearbeitet werden muss“, betonte die Wissenschaftlerin: „Sie ist nie abgeschlossen, sondern muss im Zweifelsfalle verteidigt werden.“

Ziel müsse sein, auch diejenigen Menschen stärker zu erreichen, die nie eine Gedenkstätte besuchen, sagte Genest: „Darum haben wir uns bereits seit einiger Zeit vorgenommen, stärker in die Region zu wirken.“ Ein Beispiel dafür sei das „Netzwerk Zeitgeschichte“, das Gedenkstätten, Wissenschaft und Geschichtsinitiativen vernetzen soll. Damit werde angestrebt, kritisches Geschichtsbewusstsein stärker in der Gesellschaft zu verankern.

Auch der Hamas-Terrorangriff auf Israel und die Reaktionen auf die Folgen hätten die Bildungsabteilungen der Gedenkstätten herausgefordert, sagte Genest: „Sie haben sich intensiv mit möglichen Fragen und Herausforderungen in der Gruppenbetreuung auseinandergesetzt.“ Israelfeindliche Statements von Besuchern habe es jedoch auch vor dem 7. Oktober vereinzelt gegeben, etwa auf Kleidung oder Accessoires.

Das Interesse an den Gedenkstätten verändere sich zum Teil auch, sagte Genest: „Fragen nach den unterschiedlichen Bedingungen der verschiedenen Haftgruppen nehmen in den letzten Jahren deutlich zu oder nach dem weiblichen und männlichen Bewachungspersonal sowie Fragen zu Erinnerung und Gedenken.“ Es sei eine Daueraufgabe der Gedenkstätten, auf neue Fragestellungen zu reagieren und entsprechende Angebote zu entwickeln.

2024 solle unter anderem eine überarbeitete Ausstellung in Oranienburg eröffnet werden, sagte Genest: „Im Zentrum steht ein neu entwickelter Medientisch, der die Thematik der Schreibtischtäter in der zentralen KZ-Verwaltung aufbereitet.“