Gedenkstätten-Chef: Erinnerungskultur braucht Bezug zu Gegenwart
Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Jörg Skriebeleit, plädiert für einen Wandel der Erinnerungskultur. „Es reicht nicht, nur zurückzuschauen und zu sagen: Es war schlimm und darf nie wieder passieren“, sagte der Kulturwissenschaftler der „Süddeutschen Zeitung“ (Wochenende). Erinnerungskultur nur als historischer Zeigefinger funktioniere nicht, sie müsse als kritisches Gesellschaftsbewusstsein in die Gegenwart reichen.
Oftmals gebe es die gesellschaftliche Vorstellung, dass, wenn man eine Gedenkstätte besuche, man als besserer Mensch wieder rauskomme, sagte Skriebeleit. Das sei aber ein falsches Bild von einer Gedenkstätte und und von der Erinnerungskultur allgemein. „Es gibt keine Art gedenkstättenpädagogische Marienerscheinungen, und diese Orte sind keine Läuterungsanstalten.“
Die Besucherinnen und Besucher der Gedenkstätte in der Oberpfalz, darunter viele Schulklassen, seien sehr heterogen, führte der Leiter weiter aus. Ziel der Bildungsprogramme sei deshalb, mit den Menschen, die aus sehr unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammten, ins Gespräch zu kommen, „sie ernst zu nehmen und zu ermutigen, uns Fragen zu stellen“. Das sollen auch solche sein, von denen sie meinten, sie könnten diese, außer in ihrer Familie, nicht artikulieren: „Wir müssen versuchen, diese Menschen und ihre Haltungen ernst zu nehmen. Zwei Stunden in die Gedenkstätte zu fahren mit einer multikulturell zusammengesetzten Klasse mag einen Effekt haben – oder auch nicht.“
Die Nazis hatten das KZ Flossenbürg 1938 angelegt. Bis 1945 waren dort und in den Außenlagern schätzungsweise 100.000 Menschen aus 47 Nationen inhaftiert, darunter der evangelische Theologe und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906 bis 1945). Etwa 30.000 Menschen kamen ums Leben; auch Bonhoeffer wurde ermordet.