Gedanken zum Pfingstfest

Der Heilige Geist rüttelt an Stein gewordenen Gewissheiten.

Großes Brausen oder andächtige Stille – Pfingsten ist immer auch ein Neuanfang
Großes Brausen oder andächtige Stille – Pfingsten ist immer auch ein Neuanfangepd-Bild

Pfingsten ist, anders als Goethes berühmter Vers nahelegt, alles andere als ein „liebliches“ Fest. Das Auf­blühen der Natur, der zusätzliche freie Tag mögen vielleicht darüber hinwegtäuschen. Aber das Fest des Heiligen Geistes ist kein beschau­liches, vielmehr ein revolutionäres Fest. Denn der Heilige Geist rüttelt an Stein gewordenen Gewissheiten, weht als frischer Wind durch die Gehirnwindungen einer ängst­lichen Kirche und stiftet Verständigung der Verschiedenen.

Die Festerzählung steht im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas. Alles beginnt damit, dass die Jüngerinnen und Jünger Jesu in einem Haus in Jerusalem ver­sammelt sind. Wir können uns die Fenster geschlossen denken und die Türen verrammelt aus Furcht vor der Welt da draußen, die Jesus vom Leben zum Tode gebracht hat und von seiner Auferstehung nichts ahnt. Dazu kommt eine grundlegende Unsicherheit, die die Kirche seit Himmelfahrt begleitet: die Manifestationen des Auferstandenen haben aufgehört. Wie ist die Anwesenheit Gottes in der Welt jetzt, nach der Himmelfahrt Jesu, zu denken und vor allem: zu erfahren? Die Antwort der Bibel auf diese Frage ist klar: im Heiligen Geist.

Die Türen aufreißen nach der Erschütterung

Dem Empfang dieses Heiligen Geistes geht freilich zunächst eine große Erschütterung voraus. Die Apostelgeschichte erzählt das als großes Brausen, wie von einem gewaltigen Sturm, der das ganze Haus erfüllt. Und mir fallen sofort die ­vielen Häuser ein, große und kleine, in Stadt und Land, in denen die ­Gemeinde heute wohnt: Kirchen, Gemeindehäuser, Kindergärten, Friedhofskapellen, und viele andere mehr. Ich frage mich, ob; ja, ich möchte glauben, dass die Erschütterungen des kirchlichen Gebäudebestands nicht nur durch die Tektonik der Kirchenmitgliedszahlen verursacht sind. Sondern dass sie Vorboten sind des Geistes Gottes, der Fenster und Türen aufreißt und seine Leute nach draußen schickt, auf die Straße, an die Ränder, da, wo die „anderen“ sind.

Nach draußen gehen, neue Worte finden

Denn wenn gewaltige Erschütterungen uns sonst eher das Fürchten lehren, verlieren die Jüngerinnen und Jünger Jesu gerade bei diesem Kirchenbeben jede Angst. Sie beginnen Schritte nach draußen zu tun. Und draußen ist es überraschend hell! Und dort draußen finden sie neue Worte, die das Unerhörte zur Sprache bringen: Der Tod hat ausgespielt. Jesus ist auferstanden. Wir können leben trotz aller Todesmächte.

Und mir fallen sofort die vielen Worte ein, die unsere Kirchen ­machen: in Predigten, Unterrichtssituationen, in den Medien und in der Seelsorge, aber auch durch Verlautbarungen von Synoden, Hirtenbriefe von Bischöfen, und nicht ­zuletzt als Gesetze, ­Verordnungen und Verwaltungsverfahrensvorschriften. Ich frage mich, ob; ja, ich möchte glauben, dass verschwindet, was unsere Verkündigung unverständlich und unglaubwürdig macht, dass wir wieder verstanden werden können von denen, an die Gott sich richtet.

Dem Geist der Abschottung entgegenwirken

In gewisser Weise ist die Pfingst­erzählung die Gegen-Geschichte des Turmbaus zu Babel. Gedacht als Einhegung der menschlichen Hybris, hat sich der Zerfall der einen Menschheit in unterschiedliche Völker und Sprachen tief in das ­kollektive Bewusstsein eingetragen. Nicht wenige Zeitgenossen verrammeln gerade in diesen Zeiten der Verunsicherung wieder ihre Türen, schotten sich gegen vermeintlich Fremdes ab und erklären die vier Wände der eigenen Weltsicht zur festen Burg im Treibsand allgemeiner Orientierungslosigkeit.

Der pfingstliche Geist Gottes macht aber die Sprachverwirrung gerade rückgängig. Er stiftet Verstehen. Ich frage mich, ob; ja, ich möchte glauben, dass Gott tatsächlich dazugelernt hat seit Babel. Gott selbst setzt ja nicht mehr, wie in ­Babel, auf Abgrenzung von der Sphäre des Menschen, zieht sich nicht in einen unerreichbaren ­Himmel zurück. Sondern geht, wie in Jesus Christus, noch einmal ein in seine Schöpfung, nur diesmal nicht exklusiv, sondern universal, als ­Heilige Geistkraft, eine Kraft wie von Feuerzungen. Es ist Pfingsten. Gott ist erfahrbar in der Welt. Sein Geist, der ­Mutmacher, der Versöhner der Verschiedenen, ist ausgegossen über allem Fleisch.