Für jedes Baby läuten die Glocken

An der Westküste Schlewig-Holsteins gibt es eine Kirchengemeinde, die sich in das Dorfgeschehen lautstark einmischt: mit Glockenläuten für jedes frisch geborene Baby.

Melf und Svenja Jacobsen mit Nela Malin und ihrem Pastor Andreas Schulz Schönfeld
Melf und Svenja Jacobsen mit Nela Malin und ihrem Pastor Andreas Schulz SchönfeldKristina Tesch

Risum-Lindholm. Nela Malin war erst einen Tag im ersten Zuhause ihres Lebens. In Risum-Lindholm, im Kirchenkreis Nordfriesland, bei Niebüll. Da rissen ihre Eltern alle Fenster sperrangelweit auf, um die Glocke zu hören. Zehn Minuten läutete sie aus dem einzeln stehenden Holzturm der St.-Sebast-Kirche, von 8.50 Uhr bis 9 Uhr. Zehn Minuten für Nela Malin.

Die ganze Familie – das winzige Baby, seine große Schwester und die Eltern Svenja und Melf Jacobsen – saß in der Stube beisammen und lauschte dem Klang aus dem Turm in ihrer Nachbarschaft. „Wir haben das einfach nur genossen. Es war richtig schön“, sagt Svenja Jacobsen.

Ein neuer Brauch

Mit Nela Malin hat ein neuer Brauch begonnen. Geht es nach der Kirchengemeinde, so soll für jedes neugeborene Kind im Dorf die Glocke geläutet werden. Pastor Andreas Schulz-Schönfeld kam die Idee, als er vor Wohnhäusern Schilder sah, die neue Erdenbürger willkommen hießen – samt Größe und Kilogramm. „Das Dorf nimmt dann Anteil an dem Leben der Menschen“, beobachtete er. Sofort dachte er an das Glockenläuten, das üblich ist, wenn ein Bestattungsinstitut über den Tod eines Gemeindeglieds informiert. „Ich finde, das ist ein schöner Brauch. Aber warum läuten wir nur zum Tod? Wir können doch auch bei der Geburt läuten.“

Glocken am Ende – und Glocken am Anfang. Die Idee war geboren. Der Kirchengemeinderat sei davon hellauf begeistert gewesen und habe beschlossen, für ausnahmslos jedes Kind zu läuten, nicht nur für die aus den Familien der Gemeindeglieder. „Weil jedes Kind ein Geschenk Gottes ist“, sagt Schulz-Schönfeld. „Jedes Kind ist eine Botschaft, dass Gott die Welt nicht aufgegeben hat.“

Die Sache mit der Uhrzeit

Für Diskussionen sorgte hingegen die Uhrzeit. Die Entscheidung fiel auf 8.50 Uhr, denn „um 11 Uhr wird ausgeläutet“ – dann erklingt die Glocke für Verstorbene. „Und um zehn vor wird sie nicht verwechselt mit Veranstaltungen, die zur vollen Stunde beginnen.“

Damit die Glocke läuten kann, muss die Botschaft jedoch an die Kirchengemeinde übermittelt werden. „Wir werden schließlich nicht von den Krankenhäusern informiert“, so Schulz-Schönfeld. „Die Familien müssen auf uns zukommen.“

Und deshalb rief Melf Jacobsen im August im Büro der Kirchengemeinde anrief. „Wir haben durch meine Mutter von dem Angebot erfahren. Sie hat es im Gemeindebrief gelesen“, erinnert er sich. Gemeindebrief, Lokalzeitung, Mund-zu-Mund-Propaganda – darauf hatte der Pastor gesetzt.

„Ein schönes Gefühl“

Für Familie Jacobsen war die Glocke ein schönes „Herzlich Willkommen“. „Man denkt, die läuten nur für unsere Tochter. Man denkt: Sie ist willkommen, Teil der Gemeinde. Die Glocken läuten jetzt nur für sie. Das ist ein schönes Gefühl“, erinnert sich Svenja Jacobsen, während Nela Malin friedlich neben ihr in der Babyschale schlummert.

Getauft werden soll sie auch – wie ihre Schwester. „Weil es schön ist, mit der Kirche verbunden zu sein“, sagt Svenja Jacobsen. Eine Werbekampagne für die Taufe sei das neue Angebot jedoch nicht, betont der Pastor. „Wir freuen uns, wenn wir in Kontakt kommen mit Familien. Vielleicht ergibt sich dann mehr. Wir wollten es aber bewusst nicht an Bedingungen knüpfen, sondern wollen einfach die Freude über neue Leben ausdrücken“. Jedoch, gibt er zu bedenken, rufe die Glocke zu Gebet und Andacht auf. Und so hofft er, „dass die Leute in der Gemeinde so ein neues Leben mit Gebet und Fürbitte, mit Dank begleiten“.

Mittlerweile hat die Glocke ein zweites Mal um 8.50 Uhr geläutet. Weit hörbar im ganzen Dorf.