Für ihre Friedensorgel zieht die Gemeinde alle Register

Die Katharinen-Kirche in Osnabrück soll bis 2018 für zwei Millionen Euro eine „Friedensorgel“ bekommen – damit endlich Schluss ist mit den Misstönen.

Vorfreude auf die neue Orgel (v.l.): Pastor Otto Weymann, seine Kollegin Andrea Kruckemeyer und Kirchenkreiskantor Arne Hatje
Vorfreude auf die neue Orgel (v.l.): Pastor Otto Weymann, seine Kollegin Andrea Kruckemeyer und Kirchenkreiskantor Arne HatjeMichael Eberstein

Osnabrück. Als Arne Hatje im Mai 1997 sich um die Kantorenstelle in Osnabrück bewarb, machte es ihm die Orgel an der Katharinen-Kirche nicht leicht. „Als A-Musiker muss man mit solchen Mängeln klarkommen, aber mit Musikkultur hat das nichts zu tun“, sagt er heute. Jetzt darf er berechtigte Hoffnung haben, dass er noch auf einem neuen Instrument spielen kann, das auch für virtuose Konzerte geeignet ist. Eine „Friedensorgel“ soll Katharinen bekommen, möglichst schon 2018.
Arne Hatje hat einen festen Händedruck. Daran dürften auch die 19 Jahre an der Ott-Orgel von 1962 ihren Anteil haben. Die Tasten des Spieltischs verlangten jeweils 600 Gramm Tastendruck. „Beim Fingerhakeln ziehe ich jeden über den Tisch“, sagt der Kirchenmusiker lachend.
Weniger amüsant findet er, dass die alte Orgel ein seltsames Eigenleben führt. Da kommen schon mal Töne aus dem Instrument, obwohl niemand daran sitzt. Oder er drückt eine Taste –  und nichts passiert. Schlimm wird es aber, wenn im Sonntagsgottesdienst Töne erklingen, die weder zum Lied gehören, noch vom Organisten angeschlagen wurden.

Ganz eigene Spieltechnik entwickelt

Ein Hauptproblem aber ist die Verzögerung, die sich aufgrund der langen Wege zwischen Pedal und Manual einerseits sowie einem Teil der Pfeifen ergeben. Das liegt an der besonderen Bauweise der Orgel. Um einen Blick auf das von Rosemarie Schmelzer gestaltete Fenster im Westgiebel zu ermöglichen, wurde das Instrument geteilt. „Ich muss mit den Füßen immer ein Stück vor der Melodie sein“, erklärt Hatje seine eigenartige Spieltechnik. Er hat sie mittlerweile perfektioniert, nur andere Organisten kämen damit kaum klar.
Optisch macht die Orgel durchaus einen starken Eindruck, nicht zuletzt wegen der imposanten Trompeten, die beiderseits des Durchblicks auf das Fenster weit über die Empore ragen. „Aber ein Großteil davon ist gar nicht mehr zu spielen“, erklärt Hatje. Und er lenkt den Blick auch auf die großen Prospektpfeifen für die tiefen Töne: Etliche von ihnen sind am Fuß gestaucht. Sie sacken aufgrund ihres hohen Gewichts und eines zu weichen Materials in sich zusammen, was natürlich die Tonhöhe verändert.
Hatje zählt noch mehr Mängel an dem Instrument der durchaus renommierten Firma Ott aus Göttingen auf. Viele Probleme seien wohl schon durch die Auftragsvergabe entstanden. Die Orgel sollte ohne Gehäuse geliefert werden. So ruht sie auf einem Stahlskelett, was auch nicht gerade „klangförderlich“ sei, sagt Hatje. Dazu sei vor Ort ein Gehäuse aus Sperrholzplatten gebaut worden. „Das klappert, wenn es zu trocken wird.“

Orgel wurde über Nacht teurer

Diese „Verkettung unglücklicher Umstände“ machte es nötig, nicht nur an eine Sanierung des gut fünf Jahrzehnte alten Instruments zu denken, sondern einen Neubau in Auftrag zu geben. Das haben auch die Orgelsachverständigen der Landeskirche nicht anders gesehen. Und so wurde schon vor Jahren eine neue Orgel ausgeschrieben. Ein Dutzend Firmen aus Deutschland, den USA und Schweden bemühte sich um den Auftrag, den Zuschlag aber erhielt die Firma Metzler aus dem Schweizer Dietikon. Einzig die Finanzierung der auf zwei Millionen Euro kalkulierten Kosten steht der Verwirklichung der „Friedensorgel“ zum erhofften Termin im Wege.
Schlaflose Nächte, so gibt Hatje zu, mache ihm gelegentlich der Wechselkurs. Als vor einiger Zeit der Franken gegenüber dem Euro neuerlich festgesetzt wurde, kletterte der Preis für die „Friedensorgel“ über Nacht um ein Viertel. Auch darum hoffe er, dass der Neubau bald verwirklicht werde.
„Noch ist der Fertigstellungstermin 2018 möglich“, sagt Pastor Otto Weymann. Wenn der Auftrag bis Mitte 2017 erteilt werde, dürfte die Einweihung 2018 zu schaffen sein. Den Auftrag könne man aber nur guten Gewissens vergeben, wenn wenigstens zwei Drittel der Kosten finanziell gesichert seien. Daran arbeitet zurzeit nicht nur die Gemeinde – mit 6000 Mitgliedern die größte Innenstadtgemeinde Osnabrücks – sondern auch ein Förderverein.

Symbol für Europa

Dem gehören viele Menschen aus der Stadt an, denn die knapp 770 Jahre alte St.-Katharinen-Kirche ist ein Stück Stadtgeschichte. In ihren Räumen tagte einst die schwedische Delegation, die 1648 über das Kriegsende verhandelte und schließlich den Westfälischen Frieden vereinbarte. Schirmherr des Friedensorgel-Projekts war denn auch zunächst der schwedische Botschafter; derzeit teilen sich Landesbischof Ralf Meister und Ex-Bundespräsident Christian Wulff diese Ehre.
Pastorin Andrea Kruckemeyer sieht in der Friedensorgel auch ein symbolisches Vorhaben für Europa, denn „ohne Westfälischen Frieden gäbe es kein Europa.“ Deshalb werden auch Unterstützer jenseits der Stadtgrenzen Osnabrücks gesucht. Dazu trägt eine besondere Werbeaktion bei: „Miles for pipes“ nennt sie sich. Eine 30 Zentimeter lange Pfeife aus der Osnabrücker Orgel geht mit auf Urlaubs- und Dienstreisen. Mehr als 40 Fotos sind schon auf einer Erinnerungswand in der Kirche zu sehen, da-runter auch ein Bild von der berühmten Christus-Statue in Rio de Janeiro. Auch wenn das seltsame Reise-Utensil gelegentlich bei Kontrollen auffällt – dank einer mehrsprachigen Erklärung hat es bislang noche keine Probleme an Grenzen oder Flughäfen gegeben.

Klassisch: Pläne am Reißbrett entstanden

Die Pastorin verweist darauf, dass sich die Katharinen-Gemeinde als Begegnungsstätte im Sinne des Friedens versteht und dies durch die neue Orgel verstärkt werden soll. Das noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkiriegs völlig zerstörte Gotteshaus ziehe mit seiner  zeitgemäßen Gestaltung die Besucher in den Bann. Eine Orgel mit der erwarteten Qualität werde dies noch verstärken. Kruckemeyer und Weymann sind zudem überzeugt, dass die „Friedensorgel“ schon jetzt durch die Zusammenarbeit von Menschen – ob kirchennah oder -fern – verbindend und integrativ wirke. „Und das Netz weitet sich aus“, freuen sich die beiden.
Die Pastoren und Kantor Hatje haben sich bei der Firma Metzler genau umgeschaut. „Da verbinden sich handwerkliche Traditionen mit meisterlicher Planung“, schwärmt der Musiker. Den Werkzeugen sehe man an, dass sie schon seit Jahrzehnten in Gebrauch sind. Und die Pläne seien noch am klassischen Reißbrett entstanden. „Das Beste aber: das Holz für unsere Orgel liegt schon bereit und kann richtig durchtrocknen.“
Doch nicht nur die handwerkliche Qualität relativiere den Preis der Orgel. Auch ihre musikalischen Möglichkeiten und ihre Klangvielfalt seien ihr Geld wert. So ist das „klassische“ Repertoire von Johann Sebastian Bach bis Olivier Messiaen auf dem Instrument mit drei Manualen und Pedal selbstverständlich spielbar. Aber mit einem „winddynamischen Werk“, das über ein zusätzliches Manual angespielt wird, kann der Windstrom verändert werden und bislang ungehörte Klänge erzeugt werden. Damit ist auch Musik von György Ligeti oder John Cage darstellbar.

Neue Orgel zukunftsfähig

Vor allem aber besteht künftig die Möglichkeit, neue Kompositionen und virtuose Improvisationen spielen zu können. Das weckt schon jetzt die Vorfreude auf die Orgel, nicht nur bei Hatje. „Das dürfte auch namhafte Interpreten nach Osnabrück locken“, ist der Kirchenkreiskantor überzeugt. Und obwohl die „Friedensorgel“ ohne die heute oft üblichen Computer auskommt, sei auch diese Technik nachrüstbar, sagt Hatje. Das Instrument sei also zukunftsfähig.
Auch optisch, so glaubt der Musiker, werde die Orgel einen guten Eindruck machen. Sie soll mittig auf der Empore stehen, aber mit einem tiefen Einschnitt im Prospekt den Blick auf das dahinter liegende Fenster zum großen Teil frei lassen. Die schlanke, emporstrebende Anordnung der Pfeifen lässt das Instrument wie Engelsflügel wirken.
Die Verteter der Katharinen-Gemeinde glauben nicht, dass die neue Orgel als Konkurrenz für andere Orgeln angesehen werde. „Osnabrück ist eine Orgelstadt“, sind sich Kruckemeyer, Weymann und Hatje sicher. Sie werde mit dem neuen Instrument noch aufgewertet. Zudem stelle die Metzler-Orgel einen weiteren Schritt zu einer geplanten Orgelakademie dar, die in der Friedensstadt eingerichtet werden soll.

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