Frühjahrsputz am Lübecker Kreuzweg

Das Relief mit der Kreuzigungsszene auf dem Jerusalemsberg in Lübeck muss richtig geputzt werden. Ein Besuch am Arbeitsplatz der Restauratorin Malaika Krohn.

Restauratorin Malaika Krohn am Steinrelief von Jesus am Kreuz
Restauratorin Malaika Krohn am Steinrelief von Jesus am Kreuz

Lübeck/Timmendorfer Strand. Es riecht nicht gut an Malaika Krohns Arbeitsplatz. Zwar hat sich die Restauratorin aus Timmendorfer Strand längst an diesen scharfen Salmiakgeruch gewöhnt, der da aus dem Eimer vor ihr emporsteigt, doch länger als ein paar Stunden erträgt auch sie ihn nicht. Dabei ist es sonst schön hier, die Vögel singen und die Sonne scheint. Das Gemisch im Eimer kann man jedoch getrost als scharf riechende Pampe bezeichnen. Korrekt ausgedrückt handelt es sich um sehr fein gemahlene Buchen-Zellulosefasern, die, mit einer Ammoniumcarbonat-Lösung vermischt, einen sehr nützlichen weißen Brei ergeben. 
Es ist Jesus am Kreuz, der nach und nach unter den Zellulosefasern verschwindet. Denn Malaika Krohn restauriert das große Steinrelief auf dem Jerusalemsberg, die letzte Station des Lübecker Kreuzwegs. Seit Jahren pilgern an Karfreitag Hunderte katholische und evangelische Christen von St. Jakobi hinaus vor die Stadt, um dem Tod Jesu am Kreuz zu gedenken. Der Lübecker Kaufmann und Ratsherr Hinrich Konstin hatte den Lübecker Kreuzweg Ende des 15. Jahrhunderts nach dem Vorbild der Via Dolorosa anlegen lassen. Der Stifter selbst erlebte die Fertigstellung nicht mehr. 

Desolater Zustand

Viele Fugen der Einfassung sind in einem desolaten Zustand, und vor allem die Bereiche um die Eisenanker, die das Bauwerk zusammenhalten, bereiten ihr Sorgen. Auch hat sich ein konservierender Anstrich, der vor etlichen Jahren aufgetragen wurde, stellenweise abgelöst. Den Granit am Sockel und das Dach der Einfassung will Krohn zumindest mit einem Hochdruckreiniger bearbeiten. Wobei sie auf den Baumläufer acht geben muss, der unter den Dachschindeln sein Nest gebaut hat und ein und aus fliegt.
Malaika Krohn ist eine der wenigen Steinrestauratorinnen in Schleswig-Holstein. Sie hat die Fassade des Lübecker Zeughauses am Dom restauriert und schon während ihrer Ausbildung an der Restaurierung des Brandenburger Tors mitgewirkt. Ihr größter Auftrag war jedoch die Bergung, Restaurierung und Konservierung von 160 Grabsteinen auf dem Friedhof von Amrum. 
Das Relief auf dem Jerusalemsberg ist für sie ein eher übersichtlicher Auftrag. Insgesamt hat Krohn rund zwei Wochen für die Arbeit kalkuliert. Kostenpunkt rund 4000 Euro – Spendengeld, das in den vergangenen Jahren am Ende des Lübecker Kreuzwegs gesammelt wurde. Eigentlich hätte schon zu Ostern alles fertig sein sollen. Doch für Arbeiten an Steinen ist es wichtig, dass es nachts nicht kälter als fünf Grad Celsius wird, weil Flüssigkeiten sonst im Stein zu erheblichen Schäden führen können. „Regen ist nicht schlimm, aber zu kalt darf es nicht werden“, erläutert Krohn. 

Substanz gut in Schuss

Zunächst hat die Restauratorin alle Ecken und Winkel des Reliefs mit einem Pinsel gereinigt. Allerdings hat sich sogleich über Nacht eine Spinne quasi ins frisch gemachte Nest gesetzt. Malaika Krohn kann Spinnen nicht leiden. Aber sie sind leichter zu entfernen als Moose und Flechten. Von diesen pflanzlichen Belegen ist zum Glück nichts zu sehen. 
Die Erbauer haben das ganze Bauwerk geschickt angelegt, sodass das Relief kaum direktem Regen ausgesetzt ist. „Es ist eine qualitätvolle Bildhauerarbeit. Fehlstellen sind gesteinsbedingt; die Subs­tanz als solche ist gut in Schuss“, lautet das Urteil der Expertin. Lediglich die Unterschenkel der Jesus-Darstellung, die in früherer Zeit durch Nachbildungen aus weichem Sandstein ersetzt wurden, sind zum Teil abgeplatzt. 
Auch im Bereich der Köpfe von Maria und Johannes gibt es solche Ausbesserungen, die nun schadhaft sind. „Der Klebstoff der Sandkörner ist quasi verloren gegangen“, erläutert Krohn. Die Stellen will sie mit Kieselsäureester tränken, um weiteren Auflösungserscheinungen vorzubeugen. Ergänzungen sind indes nicht vorgesehen: „Restaurierung versteht sich als substanzerhaltende, aber in keiner Weise als schaffende Tätigkeit.“ 
Der wichtigste Schritt ist aber ohnehin die Bearbeitung des Reliefs mit dem weißen Brei, der – teils durch handelsübliche Küchentücher unterstützt – als Kompresse aufgetragen wird. Das Gemisch löst die schwarzen Verkrustungen der Oberfläche an oder, im günstigsten Fall, sogar ganz auf. „Die schwarzen Verfärbungen sind Schadsalze, in diesem Fall Gips“, erläutert Krohn. 

"Eine wunderschöne Baustelle"

In Verbindung mit dem Ammoniumcarbonat kommt es zu einer chemischen Reaktion, bei der die Schadsalze aus dem Stein in die Kompresse wandern, die dann abgenommen wird. Es folgt eine Behandlung mit heißem Dampf. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. „Es ist eine wunderschöne Baustelle. Aber ich habe keinen Strom und kein Wasser“, bedauert die Restauratorin. 
Allerdings hat ihr die Kirchenbauhütte des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg inzwischen einen großen Wassertank an das eingerüstete Relief geliefert, und das Stromproblem wurde ebenfalls gelöst. 
Nach dem Entfernen der Kompressen hat sich gezeigt, dass die Oberfläche tatsächlich deutlich aufgehellt ist. Die schwarzen Krusten sind größtenteils verschwunden. „Mal schauen, wie viel Jahrhunderte das jetzt so bleibt."