Frisch im Ruhestand: Thomas Koppehl blickt zurück

Nach 16 Jahren als Superintendent in Niesky ging ­Thomas Koppehl Ende Mai in den Ruhestand. Sein Nachfolger wird Pfarrer Daniel Schmidt aus ­Rothenburg.

16 Jahre lang war Thomas Koppehl (r.) Superintendent in Niesky, hier mit seinem Nachfolger Pfarrer Daniel Schmidt auf der Synode des Kirchenkreises Schlesische Oberlausitz am 6. Mai 2023
16 Jahre lang war Thomas Koppehl (r.) Superintendent in Niesky, hier mit seinem Nachfolger Pfarrer Daniel Schmidt auf der Synode des Kirchenkreises Schlesische Oberlausitz am 6. Mai 2023Andreas Kirschke

Niesky. Hoffnung und Dankbarkeit empfindet Thomas Koppehl zum Abschied. Seit 2007 war er Superintendent in Niesky. „Dankbarkeit für die Kollegen in der Verwaltung. Dankbarkeit für den Pfarr­konvent, die Regionalkantoren und den CVJM, den Christlichen Verein junger Menschen. Dankbarkeit für meine Förderer und Begleiter im Glaubensweg“, sagt Koppehl.

2007 erlebte er die Vereinigung der Kirchenkreise Weißwasser, Niesky und Görlitz zum Kirchenkreis Niederschlesische Oberlausitz mit. Dieser fusionierte 2015 mit dem Kirchenkreis Hoyerswerda zum Kirchenkreis Schlesische Oberlausitz. Der äußeren Transformation entspricht auch eine innere: „Wir sind auf dem Weg zu einer Minderheitskirche. Unsere Gemeinden verlieren seit Jahren Mitglieder. In den vergangenen 15 Jahren ist der Bestand um rund ein Viertel Mitglieder geschrumpft. Immer ­weniger Hauptamtliche sind für immer größere Bereiche zuständig“, sagt der 65-Jährige.

Noch 2007 lebten in seinem ­Einzugsbereich 47000 Gemeindeglieder. Heute sind es nur noch 34000. Dazu gehören 64 Gemeinden, 39 Pfarrerinnen und Pfarrer, Teilzeit und Krankenhausseelsorge ein­geschlossen, sowie 87 Kirchen und Kapellen. Jahr für Jahr ver­lieren die Gemeinden ein bis zwei Prozent Mitglieder. „Das ist ein unablässiger Prozess. Dem müssen wir uns stellen“, sagt der scheidende Superintendent. „Doch darin liegt auch eine Chance für uns als Kirche. Wir kommen weg von einer Pastorenkirche zu einer Kirche der ­ehrenamtlich Engagierten vor Ort. Wir brauchen für die Zukunft der Kirche lebendige Gemeindekerne. Wir brauchen Menschen, die sich mit ihren Gaben und Talenten einbringen.“

Gestaltung einer zukunftsfähigen Kirche

Entscheidend sei es, vor Ort Strukturen der Selbstorganisation zu fördern. Dazu ist es nötig, Menschen für den Lektoren- und Besuchsdienst, für die Kinder- und Jugen­d­arbeit, für die Seniorenarbeit bis zum Orgeldienst und zur Leitung ­eines Chors auszubilden. „Die erste und wichtigste Aufgabe einer ­Gemeinde ist die Fürbitte“, sagt Thomas Koppehl. „Menschen kommen im Gebet zusammen. In einer solchen Gemeinschaft wächst Kraft, Zuversicht, neue Kreativität.“

Die Frage der Gestaltung einer zukunftsfähigen Kirche angesichts der sinkenden Mitgliederzahlen hat ihn sein ganzes Berufsleben über beschäftigt. Die ersten Kindheitsjahre verbrachte der gebürtige Berliner in Wörpen bei Coswig, in Sachsen-Anhalt, wo sein Vater Joachim Koppehl, heute 95, seine erste Pfarrstelle hatte. „Richtig auf­gewachsen bin ich in Friedland bei Beeskow. Wir wohnten dort in ­einem großen Pfarrhaus, ein großer Garten gehörte dazu“, erzählt Thomas Koppehl.

Auf der Suche nach einem geschützten Raum

Nach seiner Schulzeit lernte er drei Jahre Facharbeiter für Plast- und Elastverarbeitung mit Abitur, ­„Reifenwickler“, im Pneumant-Werk Fürstenwalde. Danach diente Koppehl anderthalb Jahre in der Nationalen Volksarmee bei Storkow. Der Umgangston war rau. Die Arbeit oft knochenhart. „Ich war auf der Suche nach Halt. Ich spürte eine ­tiefe Sehnsucht nach Freiheit und nach einem geschützten Raum“, ­erinnert er sich.

Thomas Koppehl studierte Theologie im Sprachenkonvikt in der Borsigstraße in Berlin-Mitte und fand dort zum lebendigen Glauben in der Auseinandersetzung mit der Theologie Karl Barths, einem der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Bei Wolfgang Ullmann, 1989 Mitgründer der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“ und 1990 bis 1994 für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, besuchte er emsig und mit Freude Vorlesungen zur Kirchengeschichte. „Seine Menschlichkeit und Glaubenstiefe haben mich sehr berührt. Das war innerlicher, vorgelebter Glaube“, sagt Koppehl. „Wolfgang Ullmann erschloss uns Studenten ganze Welten der Alten Kirche und des Mittelalters. Und doch klang es für uns sehr modern und horizonterweiternd.“

Mehrperspektivisches Denken

Während des Studiums lernte Koppehl seine heutige Frau Angela (64) kennen, die ebenfalls Theologie studierte. Aus ihrer Ehe gingen die Kinder Johannes, Daniel, Markus und Elisabeth hervor. Gerade seine Frau und seine Familie stärkten ihn später beim Schreiben der Disser­tation. Nach dem Studium blieb Thomas Koppehl einige Jahre im Sprachenkonvikt und wurde Assistent bei Wolf Krötke, Professor für systematische Theologie. Seine ­Dissertation schrieb er über den Theologen Isaak August Dorner (1809-1884). Bei Dorner lernte er das mehrperspektivische Denken, das für seine spätere Arbeit sehr hilfreich werden sollte.

Seine erste Pfarrstelle trat Thomas Koppehl 1990 bis 1994 in der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Köpenick an. „Wir waren fünf Pfarrer und ein Superintendent. Keine Sitzung des Gemeindekirchenrates endete vor 24 Uhr“, erinnert er sich. „Für mich stellten sich wieder existenzielle Fragen: Wie können wir in einer Kirche ­leben, in der Gemeinden immer kleiner werden? Wie gewinnen wir mehr Menschen für die Kirche?

Zukunftsfähige Kirche

Von der Leitung der Evangelischen Kirche der Union (EKU) kam eines Tages ein Anruf. Thomas Koppehl sollte eine neue spannende Aufgabe in Wittenberg übernehmen. Von 1994 bis 2007 arbeitete er als Studienleiter am dortigen Predigerseminar mit dem Schwerpunkt ­Homiletik, Predigerlehre. Zusammen mit Vikarinnen und Vikaren beschäftigte er sich sowohl mit geistlichen und theologischen Grundsatzfragen als auch mit Fragen der Organisation des Pfarrdienstes und der Gemeindeleitung. Dort fand er erste Antworten für sein Konzept einer zukunfts­fähigen Kirche.

2007 wurde er als neuer Superintendent des Kirchenkreises Niederschlesische Oberlausitz gewählt und kam nach Niesky. In Michael Marx, dem Leiter des Kirchlichen Verwaltungsamtes, und später in Pfarrer Ulrich Wollstadt aus dem Bereich Öffentlichkeitsarbeit fand er wichtige Berater und Begleiter.

„Dankbar bin ich, dass der Übergang in den größeren Kirchenkreis, die Vereinigung von Niederschlesischer Oberlausitz und Hoyerswerda, so gut gelungen ist und ich so brüderlich, ohne Missstimmung mit Bruder Heinrich Koch als Stellvertreter zusammenarbeiten konnte“, unterstreicht Koppehl heute.

Unterstützender Kirchenkreis

Von Anfang an praktizierte er den Gedanken des unterstützenden Kirchenkreises. Das hieß: Der Kirchenkreis gibt den Hauptteil seiner ­finanziellen Mittel nicht für eigene Projekte aus, sondern zur Unterstützung der Gemeinden. Ihm liegt daran, diese in all ihren Umbauprozessen zu stabilisieren, ihre Selbstorganisation und Eigeninitiative vor Ort zu fördern. „Ich habe das auf den Kreissynoden als Grundkonsens zwischen den Gemeinden und dem Kirchenkreis bezeichnet. Und gerade das hat uns durch die Jahre getragen“, sagt Koppehl.

Was hat er erreicht? Was ist wirklich gelungen? Er nennt unter anderem die großzügige Unterstützung durch Fördermittel bei Bauvorhaben der Gemeinden und die vollständige Übernahme der Per­sonalkostenrücklage auch für gemeindliche Mitarbeiter. So konnte der Kirchenkreis Anstellungen in den Gemeinden erleichtern. Ein ­Erfolg sei auch die Einrichtung eines Systems von Regionalkantoren und Regionaljugendwarten. Diese halfen beim Aufbau der ehrenamtlichen Arbeit im Bereich Kirchenmusik sowie Kinder- und Jugend­arbeit in den Gemeinden.

Pflege der schlesischen Wurzeln

Koppehl unterstreicht den Wert eines weiteren Projektes: die synodale Arbeitsgemeinschaft „Erinnern, Bewahren und Zukunft gestalten“ mit dem jährlichen Veranstaltungsheft. „Wer seine eigene Geschichte kennt, wird auch für sie eintreten“, sagt er. Gerade als ­Superintendent lag ihm die Pflege der schlesischen Wurzeln des ­Kirchenkreises am Herzen.

Wichtig war ihm auch die Förderung der sorbischen Kultur. Er unterstützte die Pflege der Traditionen und Bräuche vor allem im Kirchspiel Schleife. Ein Meilenstein war, dass 2014 mit Jadwiga Malinkowa erstmals eine sorbische Muttersprachlerin Pfarrerin in Schleife wurde. „Das war auch ein Beitrag für die ­Belebung und eine Aufwertung der sorbischen Sprache“, sagt Thomas Koppehl. „Als Kirchenkreis haben wir auch die Rettung und Sanierung der Pfarrscheune in Nochten unterstützt. Heute ist die Šwjela-Scheune Kultur- und Begegnungsort.“

Stark am Herzen lag ihm die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Diözese Wrocław in Polen. Jahr für Jahr findet, abwechselnd auf polnischer und deutscher Seite, der Gemeinde-Begegnungstag statt. Diese Treffen, so unterstreicht Thomas Koppehl, sind unverzichtbar und ­immer auch gelebte Versöhnung zwischen Deutschen und Polen.

Mit Zuversicht

Für den Kirchenkreis Schlesische Oberlausitz ist Thomas Koppehl trotz aller Probleme und Heraus­forderungen zuversichtlich. Mit Pfarrer Daniel Schmidt aus Rothenburg tritt der Nachfolger jetzt sein Amt an. Bereits seit Jahren arbeitet er mit Thomas Koppehl vertrauensvoll zusammen. „Auf Christus hin wachsen und miteinander wachsen in selbstverantworteter Liebe – das ist der tiefe geistliche Grund von Selbstorganisation“, unterstreicht Koppehl die Antwort auf seine ­lange Suche. „Das ist der Wegweiser für die Zukunft für unseren Kirchen­kreis.“

Im Ruhestand freut er sich auf mehr Zeit für Theologie, aber auch auf Gottesdienste und Andachten. Er will sich weiter für die Kirchliche Stiftung Evangelisches Schlesien, für das Kuratorium der Diakonissenanstalt Emmaus der Diakonie Libera engagieren. Unterstützen will er auch seine Frau. Sie arbeitet gerade intensiv das Archiv der ­Diakonissenanstalt Emmaus auf und schreibt an einem Aufsatz über die Aussendung Nieskyer Diakonissen nach Jerusalem. „Wir beide bleiben der Region erhalten und haben in Niesky eine Heimat gefunden“, versichert der scheidende Superintendent.