Friedenspreisträgerin Applebaum fordert wehrhafte Demokratien
Die Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, Anne Applebaum, hat kritisiert, dass demokratische Staaten keine Strategie gegen Angriffe diktatorischer Regimes hätten. Autokratische Staaten, darunter Russland, China, Nordkorea, Iran, Aserbaidschan, Venezuela, Mali, Simbabwe und andere hätten ein Netzwerk gebildet, um gegen demokratische Staaten und deren Wertvorstellungen vorzugehen, sagte die US-amerikanisch-polnische Historikerin und Publizistin am Freitag auf der Frankfurter Buchmesse. So investierten regierungsgelenkte russische und chinesische Medien hohe Millionensummen, um ihre Inhalte online, in Radio und Fernsehen auf anderen Kontinenten zu verbreiten. Die demokratischen Staaten hätten kein ebenbürtiges Angebot.
„Es gibt einen Krieg der Wertvorstellungen“, sagte die Friedenspreisträgerin. „Wir sollten nicht das Gleiche tun, aber unsere Überzeugungen konsequenter vertreten.“ Dabei gehe es nicht nur darum, demokratiefeindlicher Propaganda etwas entgegenzusetzen, sondern auch darum, mehr demokratische Kontrolle über die rein profitgetriebenen Social Media der Konzerne zu bekommen. Russland verübe Sabotageakte in Europa einschließlich Mord und führe eine Desinformationskampagne. „Wir könnten die Verteidigung unserer politischen Systeme besser organisieren“, sagte Applebaum. Die EU-Sanktionen gegen Russland hätten viele Löcher, manche Länder kümmerten sich nicht darum.
Der Westen trage auch sonst zur Stärke von demokratiefeindlichen Staaten bei. „Es gibt eine Symbiose zwischen der westlichen Geschäftswelt, die nicht nach der Herkunft von Geld fragt, und dem Geld aus Autokratien“, sagte Applebaum. Die Demokratien müssten die Finanzwelt schärfer regulieren und für Transparenz in der Schattenwirtschaft sorgen. So sei in den USA der Fall aufgedeckt worden, dass der russische Propagandasender Russia Today Geld zu einem rechtsradikalen Rundfunksender in Tennessee gelenkt habe.
„Es gibt kein Rezept für Frieden“, sagte die Friedenspreisträgerin. Frieden gebe es, wenn Staaten offene Beziehungen pflegten. Die verschiedenen Kriege in der Gegenwart brauchten verschiedene Antworten. Gegenüber Russland brauche Europa Abschreckung. „Wir haben darin versagt, Russland vor einem Angriff auf die Ukraine abzuschrecken“, sagte sie. Im Nahen Osten müsse Iran davon überzeugt werden, die Existenz Israels anzuerkennen, und Israel, die Errichtung von Palästina anzuerkennen. Im Sudankrieg müsse die Diplomatie aktiv werden. Allerdings gebe es Regimes, die aus politischen oder wirtschaftlichen Absichten Konflikte verursachten, die nicht durch Gespräche gelöst werden könnten.
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine wird nach den Worten Applebaums enden, wenn Russland die Unabhängigkeit der Ukraine anerkennt. Friedensverhandlungen machten erst dann einen Sinn, wenn die russische Regierung zur Einsicht komme, dass der Krieg keinen Sinn mache, sagte sie. Im Westen gebe es viel Wunschdenken über Friedensverhandlungen. Aber ein Kriegsende, das keine souveräne und stabile Ukraine garantiere, bringe keinen Frieden und keine Sicherheit für Europa. „Wenn die Ukraine fällt, werden die Kosten für Europas Sicherheit viel größer sein“, sagte Applebaum. Die Expertin für osteuropäische Geschichte erhält an diesem Sonntag in der Frankfurter Paulskirche den mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen.