Der Historiker Karl Schlögel erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2025. Der Börsenverein zeichnet damit einen Wissenschaftler aus, der sich seit Jahren mit Russland und Osteuropa beschäftig.
“Die Besetzung der Krim 2014 durch Russland war ein ungeheurer Schock. Aber man lernte dadurch, dass man noch einmal auf die Schulbank zurück muss.” Die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen, vermeintlich Feststehendes neu und anders zu durchdenken: Das ist eine der Stärken des Historikers Karl Schlögel. Am Dienstag gab der Börsenverein des Deutschen Buchhandels bekannt, dass der Kenner der osteuropäischen Geschichte den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2025 erhält. Die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung wird am 19. Oktober bei der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche verliehen.
Es ist nicht die erste Auszeichnung für Schlögel. Im vergangenen Jahr etwa bekam der 77-Jährige den mit 100.000 Euro dotierten Gerda-Henkel-Preis. Und für sein Buch “Terror und Traum. Moskau 1937”, in dem er die Gleichzeitigkeit von Utopie und Gewalt in der Stalinzeit thematisiert, wurde Schlögel 2009 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet. Sein 2017 zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution erschienenes monumentales Werk “Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt” erhielt 2018 den Preis der Leipziger Buchmesse.
Nun also der Friedenspreis für einen, den der Krieg Russlands gegen die Ukraine erkennbar umtreibt. Der 2014 in die Ukraine reiste, um sich selbst ein Bild vom Konflikt nach der Besetzung der Krim zu machen. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) formulierte er vor knapp einem Jahr, was sich aus seiner Sicht in der Wissenschaft ändern muss: Es gelte zu begreifen, “dass es die Ukraine gibt, eine ukrainische Geschichte, eine ukrainische Nation.” Zugleich forderte er “eine neue Beschäftigung mit Russland”.
Es gehe nicht darum, “mal eben einen Schalter umzulegen”, fügte Schlögel hinzu. “Das ist eine Generationen-Aufgabe.” Der Historiker ist einer, der Dinge nicht auf die leichte Schulter nimmt. Und dem es erkennbar widerstrebt, in den Medien als Experte zu allem und nichts mit einer schnellen Meinung zu punkten. Stattdessen hält er sich mit öffentlichen Statements zurück, wenn er sich in einem Thema nicht zuhause fühlt.
Umso mehr mischt er sich in öffentliche Debatten ein, wenn er wirklich etwas zu sagen hat, wie auch aus der Begründung zur Buchpreis-Verleihung hervorgeht: “Als einer der ersten hat er vor der aggressiven Expansionspolitik Wladimir Putins und seinem autoritär-nationalistischen Machtanspruch gewarnt.” In seinem Werk verbinde Schlögel “empirische Geschichtsschreibung mit persönlichen Erfahrungen. Als Wissenschaftler und Flaneur, als Archäologe der Moderne, als Seismograph gesellschaftlicher Veränderungen hat er schon vor dem Fall des Eisernen Vorhangs Städte und Landschaften Mittel- und Osteuropas erkundet.”
Neugier auf die Welt zeichnet Schlögel aus, der 1948 als zweites von sechs Kindern eines Landwirtsehepaars in Hawangen im Allgäu zur Welt kam. Er besuchte das Benediktinergymnasien im Kloster Ottobeuren und im Kloster Scheyern und studierte an der Freien Universität Berlin Philosophie, Soziologie, Osteuropäische Geschichte und Slawistik. Nach seiner Dissertation ging er 1982 als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an die Lomonossow-Universität Moskau.
Nach seiner Rückkehr arbeitete Schlögel als Privatgelehrter, Übersetzer und freier Autor für den Rundfunk. Er schrieb auch für verschiedene Zeitungen, darunter den “Rheinischen Merkur”, die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” und “Die Zeit”. 1990 wurde er auf den neu geschaffenen Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität Konstanz berufen. 1995 wechselte er an die Europa Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, wo er bis 2013 lehrte.
Zuletzt wandte er sich 2023 mit “American Matrix. Besichtigung einer Epoche” dem Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den USA zu. Schlögel-Einsteigern sei sein charmanter Essay “Der Duft der Imperien” von 2020 empfohlen. Ausgehend von einem Parfüm, das im Osten als “Rotes Moskau” und im Westen als “Chanel No 5” berühmt wurde, erzählt er darin eine Art Geruchsgeschichte des 20. Jahrhunderts.