Freiheit auf vier Rädern

«Vanlife»: Mit Bulli und Camper unterwegs

«Vanlife» ist für viele längst nicht mehr nur das Reisen in ausgebauten Kastenwagen, sondern eine Lebenseinstellung. Ein Streifzug durch die Vanlife-Community zwischen Trend und Geschäftsmodell, «Heldencampern» und Individualisten.

Speyer (epd). In der großen Halle riecht es nach frischem Holz und Lösungsmittel. Eine Säge kreischt, aus einer Ecke dröhnt Musik aus großen Boxen. Baustrahler leuchten sechs Lieferwagen aus, alle in verschiedenen Stadien ihres Ausbaus zum Campingfahrzeug. Vor rund drei Jahren hat Aaron Steinrock seinen Marketingjob an den Nagel gehängt, um sein Hobby zum Beruf zu machen: Er baut Fahrzeuge zum
Camper um, hat mittlerweile sechs Angestellte.

   In den Regalen in Limburgerhof bei Ludwigshafen türmen sich Wassertanks, Matratzen, Leselampen, Solarregler, Wohnraumbatterien, Kabelschläuche und Kühlschränke. Von einer großen Rolle hängt Fußbodenbelag. Während Jonathan Steinrock, wie sein Bruder Quereinsteiger mit BWL-Studium, ein Fahrzeug gegen Kälte und Hitze dämmt, bohrt Miro Eckhardt Holzbalken an, die ein Bett tragen sollen. «Ich finde das abwechslungsreicher als andere Jobs», sagt der 29-jährige Schreiner. In den Camper, in dem er steht, hat er fast alles eingebaut: Decke, Möbel, Wände, Küchenzeile und Schränke.

   Schreinerin Meike Höbel war vor ihrem Einstieg bei Steinrocks Unternehmen «Van Weekend» selbst ein Jahr im Camper unterwegs – quer durch Europa. «Es ist schön, weil du im Grunde immer draußen bist», sagt sie. Höbel liebt den minimalistischen Aspekt. «Du kannst nicht allzu viel mitnehmen, und es reicht trotzdem.» Dass die meisten Kastenwagen anders als große Caravans keine Dusche hätten, zähle zu
den Nachteilen. «Für Leute mit extrem ausgeprägtem Sauberkeitsfimmel wäre das nix.»

   Die Zahlen ausgebauter Kastenwagen steigen ständig. Im Januar 2022 verzeichnete das Kraftfahrtbundesamt mehr als 767.000 als Wohnmobil zugelassene Fahrzeuge, zum 1. Januar 2016 waren es noch knapp über 417.000. Dabei hat sich der jährliche Zuwachs seitdem fast verdoppelt und betrug zuletzt 14,5 Prozent. Alleine im Mai 2022 wurden rund 6.400 Personenkraftwagen als Wohnmobil angemeldet. Die Coronapandemie hat den Trend befeuert.

   Unter dem Hashtag #vanlife bringen Reisende bei Instagram ihre Liebe zu dieser Form des Reisens zum Ausdruck. Die PR-Agentur Campervent aus dem bayerischen Murnau, die hinter der Webseite Van&Friends steht, veranstaltet für Kastenwagen-Camper unter anderem jährliche Treffen in Münster und dem österreichischen St. Martin bei Lofer.

   Regelmäßiger Gast bei diesem Treffen ist auch das Projekt «Heldencamper». Die Idee: Junge Erwachsene mit oder nach einer Krebserkrankung sollen günstig Urlaub machen können. Hinter dem Projekt steht der Verein «Wir können Helden sein», den Andrea Voss gegründet hat. An Krebs erkrankt und unternehmungslustig, wollte sie
anderen Betroffenen die Chance geben, weiter Festivals und Konzerte zu besuchen.

   Seit ein paar Jahren wird sie dabei unterstützt von Stefanie Tomczak. «Spontan sein, heute hier sein, morgen dort, nicht fremdbestimmt wie so vieles in der Chemotherapie», das seien für sie die Vorteile des Vanlife, sagt Tomczak. Vermietet würden die Fahrzeuge unter dem marktüblichen Preis. Inzwischen seien 300 «Helden» auf Tour gewesen.

   «Wir wussten vorher nicht, was wir bewegen», sagt Tomczak. Menschen berichteten, wie sie mit Kraft und neuem Mut zurückkämen, sich wohlfühlten in der Natur, alleine oder mit anderen, die sie bei der Therapie oder Reha kennengelernt hätten. Auch medizinische Unterstützung bietet der Verein an: «Wir haben Kontakte zu Kliniken, organisieren bei Bedarf ein Sauerstoffgerät bei der Reiseplanung und Strom.»

   Vanlife ist eine besondere Art des Reisens, ein Abenteuer, bei dem nicht alles glattgehen muss. Das ist es auch, was Maren Schwitalla und Christian Zahl gefällt. Sie sind ein überzeugtes Vanlife-Paar. Als Zahls langjährige Ehe scheiterte und er Hilfe bei einem Psychotherapeuten suchte, riet der dem heute 41-Jährigen irgendwann zum Pilgern auf dem Jakobsweg. Der Gedanke ans Wandern schreckte Zahl ab. Doch die Idee, unterwegs wieder zu sich selbst zu finden, ließ ihn nicht los. «Ich habe die Sitzbänke aus einem Chrysler Voyager gerissen und bin einfach blind losgefahren», sagt er. Über das Internet lernte er seine neue Partnerin kennen, die Ähnliches erlebt hatte – und ebenfalls das Reisen im Van für sich entdeckt hatte.

   Ihr neues Leben wurde auch zu ihrem neuen Beruf. Zahl gründete mit Geschäftspartner Manuel Lemke die «Busbastler-Academy»: In Workshops bringen nun Experten Teilnehmern den Einbau von Dachluken, Standheizungen oder die Installation von Elektrik bei. Schwitalla ist als Kommunikationsdesignerin für das Branding zuständig. Vor einem Jahr haben beide ihre Wohnung aufgelöst und sind dauerhaft in ihren rund siebeneinhalb Meter langen Mercedes Sprinter gezogen. Gemeldet sind sie bei den Eltern.

   «Oft werden wir gefragt, wie wir das aushalten», sagt Schwitalla. «Wir funktionieren im Van besser, wo kein Tag wie der andere ist», sagt sie im Interview während der Fahrt auf der Fähre nach Schweden. Auf der Suche nach Frischwasser, aber auch im Wissen um ihren Dieselverbrauch sei ihnen die Begrenztheit von Ressourcen bewusster als früher.

   Aaron Steinrock aus Limburgerhof spürt indessen den Erfolg der Firma am eigenen Leib. Statt in der Halle zu schrauben, sitzt er jetzt über Zahlen. Den Schritt in die Selbstständigkeit habe er dennoch nie bereut, sagt er. Schließlich verzichtet er trotz voller Auftragsbücher auf eines nicht: «Einen richtigen Urlaub für zwei Wochen. Natürlich mit dem Van.»