Frau wirft Ordensmann aus Taizé sexualisierte Gewalt vor

Zwei Jahre lang lebte die Frau in Taizé, ein Bruder habe sich ihr damals genähert. Wie der Orden reagiert und was der Fall für das Treffen in Rostock Ende des Jahres bedeutet.

An wechselnden Ort lädt die Taizé-Gemeinschaft zu Jugendtreffen, hier im Dezember 2019 in Polen
An wechselnden Ort lädt die Taizé-Gemeinschaft zu Jugendtreffen, hier im Dezember 2019 in PolenImago / Pacific Press Agency

Zwei Wochen vor Beginn des Europäischen Jugendtreffens der christlichen Taizé-Gemeinschaft in Rostock sind neue Vorwürfe sexualisierter Gewalt gegen Brüder der Gemeinschaft öffentlich geworden. Eine 42-Jährige aus Norddeutschland beschuldigt einen der Ordensmänner, sie 2009 sexuell belästigt zu haben, wie sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) sagte. Darüber habe sie die Gemeinschaft 2019 informiert und den Bruder in diesem Jahr wegen sexueller Nötigung angezeigt. Das Verfahren sei jedoch wegen Verjährung eingestellt worden.

Die Frau besuchte Taizé schon als Jugendliche und lebte von 2006 bis 2008 als Freiwillige dort. 2009 begann ein E-Mail-Kontakt zu einem Bruder, der für sie zu einer Art Seelsorger wurde. Weil sie überlegte, selbst Ordensschwester zu werden, reiste sie im selben Jahr erneut nach Taizé und traf sich auch mit dem Bruder zu Gesprächen.

„Ich bin davongelaufen“

Für das letzte Treffen vor ihrer Abreise schlug er einen ungewöhnlichen Zeitpunkt am Abend vor, wie Terlongou berichtet. Alle Anwesenden seien in der Kirche versammelt gewesen, um eine Rede des Priors zu hören. Bei der Begegnung habe der Bruder zunächst ihre Hand genommen, was ihr unangenehm gewesen sei. Zum Abschied habe er sie bei den Schultern gepackt und auf den Mund geküsst: „Ich war zunächst schockstarr und bin davongelaufen.“

Bruder noch im Orden

Wie ein Taizé-Sprecher auf KNA-Anfrage sagte, ist der Bruder weiterhin Mitglied des Ordens, übt aber derzeit keine seelsorgerliche Tätigkeit aus. Auch an dem Treffen in Rostock nehme er nicht teil. Zu weiteren Details wollten sich die Gemeinschaft und der betreffende Bruder aufgrund eines laufenden Mediationsprozesses nicht äußern.

Ein in dieser Woche auf der Taizé-Internetseite veröffentlichter Bericht macht weitere Vorwürfe öffentlich. Demnach wird derzeit insgesamt acht Brüdern Fehlverhalten verschiedener Art vorgeworfen. In einem Fall, der bereits bekannt war, läuft ein Gerichtsverfahren wegen Vergewaltigung.

Schutzkonzept für Rostocker Treffen

Mit Blick auf das Treffen in Rostock veröffentlichte die Gemeinschaft erst Ende November ein Schutzkonzept, obwohl bereits seit September Brüder und Freiwillige des Vorbereitungsteams vor Ort leben. Das Konzept benennt unter anderem drei Ansprechpersonen, denen mögliche Vorfälle gemeldet werden können. Daneben verweist es auf das Hilfetelefon der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung sowie auf Ansprechpersonen der evangelischen Nordkirche und des katholischen Erzbistums Hamburg, die schon lange eigene Präventionsstellen unterhalten.

Taizé habe sich relativ spät an die örtlichen Kirchen gewandt, sagt der Präventions- und Meldebeauftragte des evangelischen Kirchenkreises Mecklenburg und Pommern, Martin Fritz. Die Gemeinschaft habe erste Vorschläge vorgelegt, und gemeinsam habe man ein Schutzkonzept erarbeitet, das von unabhängigen Fachberatungsstellen geprüft worden sei. „Ich habe den Eindruck, dass sich die Brüder von Taizé um Intervention und Prävention bemühen, aber noch auf dem Weg sind“, so Fritz.

15 Fälle bei der Justiz

2019 hatten die Taizé-Brüder erstmals Fälle von mutmaßlicher sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen öffentlich gemacht. Seitdem haben sich laut dem aktuellen Bericht insgesamt 62 Personen mit Hinweisen auf Fehlverhalten an die Gemeinschaft gewandt. Die Vorwürfe reichten von als diskriminierend empfundenen Bemerkungen bis hin zu sexuellen Übergriffen. Beschuldigt würden sowohl Mitglieder der Gemeinschaft als auch Teilnehmer der Treffen. 15 Anschuldigungen gegen Brüder seien der französischen Justiz übergeben worden.

Von den acht beschuldigten Brüdern waren vier zum Zeitpunkt der Anzeige bereits tot, wie es heißt. Die anderen vier hätten die Gemeinschaft entweder aus eigenem Entschluss, auf Verlangen der Gemeinschaft oder im gegenseitigen Einvernehmen verlassen. Von den 15 Anschuldigungen sollen elf auf die 1960er- bis 1980er-Jahre zurückgehen, zwei auf die 1990er-Jahre und zwei auf die jüngere Zeit.