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Foto-Ausstellung zeigt Schlafplätze von Obdachlosen

Wo hingehen, wenn es kein Zuhause gibt? Fotograf Torsten Redler war in Mannheim unterwegs, um Obdachlosigkeit zu dokumentieren. Die daraus entstandene Fotoserie ist nun in einer Mannheimer Kirche ausgestellt.

Die grüne Badematte hängt gefaltet über einem dünnen Ast, daneben eine rote Decke – dazu kommen Kopfkissen und Bettdecke, auch sie hängen säuberlich gefaltet wie auf einem Kleiderständer in den Ästen eines Baumes im Gebüsch. Es ist der Schlafplatz eines Obdachlosen in Mannheim. Der Fotograf Torsten Redler hat ihn abgelichtet. Wie 48 weitere Schlafplätze von Menschen in der Stadt, die keine Bleibe haben.

Jetzt zeigt er 18 Bilder der Fotoserie in einer Ausstellung in der Erlöserkirche im Mannheimer Stadtteil Seckenheim. Der Titel lautet “Good Night – Sleep Tight. Schlafplätze von Obdachlosen” (“Gute Nacht, schlaf schön”). “Ich wollte zeigen, wie Leute in der Bundesrepublik Deutschland schlafen müssen”, sagt Redler, der sich bereits seit längerem fotografisch mit dem Thema Obdachlosigkeit auseinandersetzt.

Eher zufällig sei er vor längerer Zeit über eine Matratze in einer Fußgängerunterführung in der Nähe eines großen Parks in Mannheim gestolpert. Spontan macht er ein Bild und begibt sich in den Folgemonaten auf Spurensuche in der Stadt. Manche Plätze unter Brücken, in Hauseingängen oder im Gebüsch findet er selbst, andere zeigen ihm Obdachlose, die er anspricht. Ob es ihre eigenen sind, sei meist offengeblieben.

“Das Verrückte ist, dass man am Anfang gar nicht merkt, dass die Menschen auf der Straße leben.” Dass Redler ihre Schlafplätze fotografieren will, stößt häufig auf Skepsis und Ablehnung. “Wenn ich sie von der Seriosität des Anliegens überzeugen konnte, wurden sie offener”, berichtet Redler von seinen Erfahrungen. Viele Obdachlose trifft er nur einmal, die Szene ist flüchtig, und auch die Schlafplätze sind nicht von Dauer. Matratzen, Decken, Habseligkeiten verschwinden mit den Menschen. Was zurückbleibt, wird irgendwann vom Ordnungsamt entsorgt.

Redler fasziniert der Ordnungssinn, der fast jedem Schlafplatz innewohnt, das Bemühen, die Plätze, und sei es nur vorübergehend, in ein Wohnzimmer zu verwandeln: “Die Menschen haben das Bedürfnis, das letzte bisschen Würde für sich zu bewahren.” Davon zeugen die ordentlich in die Hausecken geschobenen Matratzen, die säuberlich aufgereihten Kosmetika, Plastiktüten, die an der Klinke zu einer Tür hängen, die einmal zu einem Parkhaus führte. Stoffteddybärchen, die Redler eingeklemmt zwischen Sofa und Hauswand entdeckt. Und Kleidung, die nur scheinbar achtlos auf den Bürgersteig geworfen wurde, tatsächlich aber dort liegt, weil sie auf dem Boden im Gebüsch ansonsten nass oder bald schimmeln würde.

“Viele Obdachlose versuchen sehr lange, die Fassade aufrechtzuerhalten”, hat Redler bei seinen Streifzügen durch die Stadt und in Gesprächen mit Betroffenen festgestellt. Vor allem Frauen bemühten sich um Normalität, ihnen sei ihre Lebenssituation häufig so gut wie gar nicht anzusehen.

Menschen zeigen Redlers Fotografien nicht. Er wollte nicht, dass die Obdachlosen zu identifizieren sind. Ob es übergriffig sein könnte, die Schlafplätze zu fotografieren, verneint er. Leid und Missstände sichtbar zu machen, sieht er für sich als Fotograf als Aufgabe: “Es ist eine Unterlassung, nicht zu fotografieren, denn dann sieht es auch niemand.”

Bereits 2018 ist das Thema Obdachlosigkeit in Redlers Blickfeld gerückt. Damals hatten Mannheimer Künstler, aufgeschreckt von Berichten über Obdachlose, die im Winter auf deutschen Straßen erfroren waren, mobile Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen. Redler hat das Projekt fotografisch begleitet, und seitdem sei das Thema in seinem Kopf. “Die Obdachlosen selbst sind ja präsent, die meisten Leute haben aber wenig Vorstellung davon, wie und wo sie die Nacht verbringen.”

Der Titel der Fotoausstellung entstand laut Redler in einem Gespräch mit einem der Betroffenen. Er habe ihm einige Fotos gezeigt, und der Mann habe gesagt: “Aaah… good night, sleep tight.” Die Bemerkung sei humorvoll gemeint gewesen, dahinter habe aber auch der Wunsch nach einem geschützten Ort, einem – sei es noch so einfachen und temporären – Zuhause gestanden.