Forscherin: Mangelndes Mitgefühl mit Geflüchteten hat Methode

Im Europa-Wahlkampf spielten auch Debatten um Flucht und Asyl eine große Rolle. Dass Geflüchtete immer seltener als Personen wahrgenommen werden, ist laut einer Forscherin nicht nur eine Frage der persönlichen Haltung.

Gekenterte Boote, schwer verletzte Menschen, rohe Gewalt: Gegenüber diesen Bildern sind nach Beobachtung der Migrationsforscherin Judith Kohlenberger viele Menschen gleichgültig geworden. Dies sei aber nicht allein eine Frage der individuellen Haltung, sagte sie der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Sonntag. Die Verhärtung sei vielmehr auch Teil einer “gesamtgesellschaftlichen Strategie”.

Ein “gewisser Rückzug” sei für jede und jeden Einzelnen nötig, “weil man sonst gar nicht mehr damit umgehen könnte”, erklärte Kohlenberger. Zugleich hätten sich aber Trugschlüsse in der öffentlichen Wahrnehmung festgesetzt – etwa der, es habe in den vergangenen Jahren keinerlei Grenzschutz gegeben, es habe “unkontrolliere Zuwanderung” stattgefunden oder es handle sich beim Recht auf Asyl um einen Akt der Gnade. “Wahrnehmung und Realität klaffen stark auseinander.”

Dies machten sich rechtspopulistische und rechtsextreme Kräfte zunutze, so die Autorin. Allerdings funktioniere dies nur deshalb, weil auch Parteien der Mitte diese Erzählungen übernommen hätten. “Das sehe ich als großes Versäumnis.”

Diese Entwicklungen wirkten sich nicht nur auf die geflüchteten Menschen aus, sondern auch auf die aufnehmende Gesellschaft, sagte Kohlenberger: “Die Gewalt bleibt nicht an den Grenzen.” Verhärtung gegenüber dem Schicksal anderer führe etwa dazu, dass Zuwendung auch an anderer Stelle nachlasse. “Dabei brauchen wir den Austausch mit anderen, können nicht in der ureigenen Blase bestehen.”

In der Flüchtlingshilfe engagierte Menschen berichteten zudem von einem Vertrauensverlust in das Gewaltmonopol des Staates, sagte die Expertin: “Man werde weniger loyal einem Staat gegenüber”, der Menschenrechte missachte. Andere, etwa Grenzpolizisten, hinterfragten die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns, solange sich an den Ursachen für Flucht nichts verändere.

Hinzu komme: “Wenn wir uns an einen entmenschlichten Umgang gewöhnen – und das wird an Geflüchteten erprobt -, dann liegt darin eine Gefahr für weitere Menschenrechte.” Das Beispiel Ungarn zeige, dass weitere Rechte, etwa das auf Presse- und Meinungsfreiheit, unter Druck geraten könnten. – In der kommenden Woche erscheinen ein Essay und ein Sachbuch von Kohlenberger zur Gewalt an den Grenzen und deren Auswirkungen.