Gym statt Sofa, Salat statt Burger: Wer sich richtig verhält, bleibt nach Ansicht vieler auch gesund. Ein Soziologe sieht diese Denkweise kritisch. Er warnt vor einer Gesellschaft “brutal disziplinierter Einzelkämpfer”.
Bewegung, frische Luft und gutes Essen einfach genießen? Für viele Menschen geht es längst um mehr, beobachtet der Soziologe Friedrich Schorb. Wer all das nur mache, weil er sich mit anderen vergleiche oder der Fitness-App folge, sei meist unzufrieden, sagte Schorb der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Februar-Ausgabe). Die Dinge seien dann nicht mehr zweckfrei. Sinnvoller wäre es, sich weniger zu vergleichen oder gar überwachen zu lassen, “weder von Influencern und Instagram-Buddies noch von der eigenen Fitness-App oder Smartwatch”.
Natürlich sei es gut, wenn Menschen etwa Sport trieben oder sich gesund ernährten, betonte der Forscher. Derzeit steige jedoch der gesellschaftliche Druck, gesund zu leben – “wobei gesund nicht einfach als Abwesenheit von Krankheit verstanden wird. Die Erwartungshaltung, sportlich, schlank und fit sein zu müssen, führt noch stärker zu einer Herabwürdigung derjenigen, die das aufgrund ihrer Lebensumstände oder aus individuellen Gründen nicht erfüllen können oder wollen.”
Gesundheit sei zu einem Statussymbol geworden, Krankheit werde dagegen als Anzeichen für ein Scheitern betrachtet. “Gesundheit ist die neue Moral, die es mir in einer pluralistischen Gesellschaft erlaubt, mich ungestraft über andere zu erheben”, kritisierte Schorb. Aber: “Wir sollten nicht den Anspruch haben, alle brutal disziplinierte Einzelkämpfer zu werden”. Dass heute zunehmend Depressionen und Angststörungen diagnostiziert würden, sei auch ein Ausdruck davon, “dass wir den gesellschaftlichen Erwartungen nicht gerecht werden”.
Ein weiteres Problem seien strukturelle Einflüsse, fügte der Experte hinzu. Dazu zählten etwa funktionierende Kinderbetreuung, ein bezahlbarer Wohnungsmarkt und Nahverkehr. Dies gerate aus dem Blick, “wenn es bei dem Thema Gesundheit nur noch um personalisierte Fitness- oder Ernährungsmethoden, die neuste Yoga-App, Glücksratgeber oder Entspannungstechniken geht”. Diese Methoden seien wunderbar, hätten aber Grenzen. In der öffentlichen Debatte müsse es vielmehr etwa um Arbeitsschutz, sauberes Wasser und saubere Luft oder gesundes Schulessen gehen.