Forscher: Deutsche arbeiten weniger als viele Industrienationen
Fleiß gehört eigentlich zum Selbstverständnis der Deutschen. Doch sie arbeiten pro Kopf weniger als Menschen aus anderen Industrienationen. Das liegt auch an der hohen Teilzeitquote.
Arbeiten die Deutschen so viel wie nie zuvor – oder doch viel zu wenig? Über die Bewertung des Arbeitseifers der Bundesbürger zeigen sich zwei Wirtschaftsforschungsinstitute ziemlich uneinig.
Dass in der Bundesrepublik weniger gearbeitet werde als in anderen führenden Industrienationen, meldete am Donnerstag das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln unter Berufung auf eigene Daten. Zuvor hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin unter Berufung auf Daten des Sozio-oekonomischen Panels berichtet, dass abhängig Beschäftigte im wiedervereinigten Deutschland noch nie so viele Stunden gearbeitet hätten wie im vergangenen Jahr. Insgesamt leisteten sie rund 55 Milliarden Stunden, 1991 waren es noch 52 Milliarden und 2005 nur 47 Milliarden gewesen.
Das Gesamtarbeitsvolumen sei vor allem gestiegen, weil immer mehr Frauen erwerbstätig sind, hieß es. Und das, obwohl die Wochenarbeitszeit jedes einzelnen Beschäftigten im Schnitt stetig gesunken ist: von 39 Stunden im Jahr 1991 auf zuletzt 36,5 Stunden.
In der Auswertung des Kölner Forschungsinstituts landen die Deutschen mit 1.031 geleisteten Arbeitsstunden im Jahr 2022 lediglich im hinteren Mittelfeld unter den wirtschaftsstärksten Ländern, wie die Zeitungen der Funke Mediengruppe vorab berichten. Nur Franzosen (1.030 Arbeitsstunden), Italiener (1.019), Belgier (996) und Türken (870) arbeiten noch weniger als die Bundesbürger.
Der Durchschnittswert unter den verglichenen OECD-Ländern liegt bei 1.216 Arbeitsstunden je Einwohner im erwerbsfähigen Alter. Besonders arbeitswütig sind der IW-Erhebung zufolge die Einwohner Neuseelands, die auf 1.393 Arbeitsstunden kommen. Danach folgen Tschechien (1.324), Australien (1.319), Polen (1.295) und die USA (1.291). Aber auch Niederländer (1.167), Briten (1.156) und Griechen (1.145) arbeiten mehr als die Deutschen.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) reagierte besorgt auf die neuen Zahlen. „Quer durch die Branchen suchen Betriebe dringend Fachkräfte. Eine Ursache ist, dass in Deutschland im europäischen Vergleich weniger Stunden pro Kopf gearbeitet werden“, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks den Zeitungen. Forderungen nach reduzierten Arbeitszeiten wies die DIHK zurück. Wichtig sei, alle Fachkräftepotenziale zu heben, insbesondere bei den Menschen, die selbst mehr arbeiten möchten. „Eine pauschale Debatte über reduzierte Arbeitszeiten geht daher in die falsche Richtung. Was im Einzelfall zur Lebenssituation passt, kann aus Sicht der Wirtschaft nicht insgesamt das Ziel sein“, erklärte Dercks weiter.
Bei der Berechnung der geleisteten Arbeitsstunden je Einwohner hat das IW Köln eigenen Angaben zufolge sowohl die Erwerbstätigenquote als auch die durchschnittliche Pro-Kopf-Arbeitszeit berücksichtigt. In Deutschland ist demnach zwar der Anteil von Arbeitnehmern an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter mit 77 Prozent besonders hoch. Jedoch ist die Pro-Kopf-Arbeitszeit niedriger als in allen anderen OECD-Staaten, heißt es in der Auswertung. Studienautor Holger Schäfer sieht vor allem in der hohen Teilzeitquote in Deutschland einen Grund dafür. „Leider wird die kurze Arbeitszeit nicht durch die hohe Erwerbsbeteiligung kompensiert.“