“Geboren unter Bomben”: Flüchtlinge suchen Schutz im Libanon

Der Krieg im Libanon ist für viele Gastarbeiter im Land besonders schlimm. Auf der Flucht vor Israels Luftangriffen wissen sie nicht, wohin. Die meisten Notunterkünfte nehmen keine Migranten auf.

Der Krieg im Libanon ist für viele Gastarbeiter im Land besonders schrecklich (Symbolbild)
Der Krieg im Libanon ist für viele Gastarbeiter im Land besonders schrecklich (Symbolbild)Imago / ABACAPRESS

Dawood Adam hat zwei Kinder. Das ältere ist zwei Jahre alt, das jüngere noch nicht mal einen Monat. “Geboren unter den Bomben”, sagt Adam. Ruhig, fast schüchtern, erzählt er seine Geschichte, auf einer Bank neben dem Eingang zur St.-Josephs-Kirche in Beirut. Seit einigen Tagen lebt er dort mit seiner kleinen Familie – nach einer tagelangen, gefährlichen Flucht aus dem Südlibanon.

Adam stammt aus der sudanesischen Region Darfur und wohnt mit seinen Angehörigen nahe der Stadt Nabatieh im Südlibanon. Dort arbeitet er als Hausmeister in einer Villa. Als am 23. September das israelische Militär seine Kampagne gegen den Süden intensiviert, fliehen Zehntausende aus dem Gebiet.

Notunterkünfte in Schulen nehmen nur libanesische Staatsbürger auf

Nach einigen Tagen sei auch sein Arbeitgeber abgereist, nach Syrien, in Richtung Sicherheit – ohne ihm Bescheid zu geben. Erst am nächsten Morgen habe er angerufen, mit einem Auftrag: zu bleiben und auf das Haus aufzupassen. Adam befolgt den Auftrag, zumal er auch gar nicht weiß, wohin er fliehen könnte.

Die vom libanesischen Staat eröffneten Notunterkünfte in Schulen nähmen nur libanesische Staatsbürger auf, erzählt Michael Petro. Er ist Jesuitenbruder und leitet auf dem Gelände der St.-Josephs-Kirche die Jesuit Refugee Services, die Geflüchteten und Migranten im Libanon helfen.

Im Libanon leben etwa 161.000 Migranten als Gastarbeiter

Schon zu normalen Zeiten habe man allerhand zu tun: Im Libanon leben nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration etwa 161.000 Migrantinnen und Migranten als Gastarbeiter. Die meisten von ihnen stammen aus Äthiopien, Bangladesch oder dem Sudan – so wie Adam. Man stehe ihnen etwa bei Rechtsproblemen mit Arbeitgebern zur Seite, aber auch als spirituelle Gemeinde. Die Kirche St. Joseph richtet sich explizit an eine migrantische Gemeinschaft.

Seitdem aus dem seit einem Jahr anhaltenden gegenseitigen Beschuss zwischen der schiitischen Hisbollah und Israel ein ausgewachsener Krieg im Libanon geworden ist, kommen neue Aufgaben hinzu. Erst flüchten Migrantinnen und Migranten aus dem Südlibanon, dann auch aus Südbeirut. “Sie kennen uns, als Kirchengemeinde für Migranten”, sagt Michael Petro. Erst sei eine Familie in der Kirche angekommen, am nächsten Tag über 50 Menschen.

Kirche wird zur Notunterkunft

Er habe erst versucht, Plätze für sie in den Notunterkünften zu organisieren. Gerade am Anfang der Krise hätten einige noch Plätze frei gehabt – und ihr Angebot wieder zurückgezogen, sobald Petro die Nationalitäten seiner Schützlinge erwähnt.

Also sei man eben selbst zur Notunterkunft geworden, sagt er. Denn Achrafihe, die Gegend, in der die Kirche liegt, gilt als sehr sicher. Der teure Beiruter Stadtteil ist vor allem von Christen bewohnt, die Hisbollah ist dort nicht präsent. Auf zwei Stockwerken verteilen sich nun über 70 Menschen. Aus zwei Gemeinderäumen sind Schlafsäle geworden: Einer für die Männer und Jungs, einer für die Frauen, Mädchen und Kleinkinder.

Die Mahlzeiten liefern verschiedene Hilfsorganisationen

Auf mit buntem Stoff bezogenen, dünnen Matratzen schlafen sie, an den Tischen daneben wird gegessen. Die Mahlzeiten liefern verschiedene Hilfsorganisationen, das Frühstück wird in der Unterkunft zubereitet. Im Flur teilen sich zwei Kinder Reis und Gemüse, ein anderes Mädchen fährt auf einem Skateboard vorbei. Auf einem Balkon im oberen Stockwerk trocknen vor der Kulisse Beiruts und des blauen Mittelmeeres lange Leinen voll Wäsche.

Adam und seine Familie sind später in der Notunterkunft angekommen als andere Familien. Denn als die meisten den Südlibanon bereits verlassen haben, harrt er noch immer dort aus. Am 1. Oktober beginnt die israelische Bodenoffensive in den Libanon, einen Tag später fordert das israelische Militär die Bewohnerinnen und Bewohner Nabatiehs zur Evakuierung auf.

Die meisten Menschen sind geflohen

Adam und seine Familie stehen damit vor einem Dilemma: Seine Ehefrau ist hochschwanger, die Geburt steht unmittelbar bevor. Verlassen sie ihr Zuhause sofort und riskieren, dass das Baby auf der Flucht geboren wird? Oder bleiben sie, trotz der Gefahr israelischer Luftschläge?

Weil sie Angst haben, dass das Haus bombardiert wird, schlafen sie im Garten, unter dem warmen Himmel der letzten Sommertage. Mit seiner Frau bespricht er sich: Schaffen sie es, ein Taxi zu finden? Das Gebiet hat sich geleert, die meisten Menschen sind geflohen. Sie suchen – und kehren schließlich ohne Erfolg nach Hause zurück. Am nächsten Tag versuchen sie es erneut und scheitern wieder.

Geburt in Zeiten von Krieg

Tags darauf beginnen am Abend die Wehen. Adam versucht, einen Krankenwagen zu rufen – und scheitert auch daran. Weil die Ersthelferinnen Angst haben, von einem der nächtlichen Luftangriffe getroffen zu werden, wollen sie nachts nicht ausrücken. Bis um fünf Uhr morgens, erzählt Adam, habe seine Frau durchgehalten. Dann wird es endlich hell draußen. Der Krankenwagen kommt und bringt sie in ein Krankenhaus nach Nabatieh. Wenig später wird Tochter Lina geboren.

Israelischer Luftangriff in Beirut, 25. Oktober: Rauch steigt vom Ort eines israelischen Luftangriffs im Süden Beiruts auf
Israelischer Luftangriff in Beirut, 25. Oktober: Rauch steigt vom Ort eines israelischen Luftangriffs im Süden Beiruts aufImago / ABACAPRESS

Er habe kein Geld gehabt, um für die medizinische Hilfe bei der Geburt aufzukommen, sagt Adam. Denn sein Arbeitgeber habe ihm vor der Abreise nach Syrien sein Gehalt nicht bezahlt. Erneut versucht die Familie, gleich nach der Geburt, einen Weg zu finden, irgendwie in Richtung Beirut zu kommen. Doch erneut klappt das nicht, sagt Adam. Und während er nach einem Taxi gesucht habe, fliegt das israelische Militär einen Luftangriff nahe dem Krankenhaus. Im Inneren des Spitals wartet er darauf, dass die Gefahr vorübergeht.

Nach Luftangriff: Familie zieht erneut weiter

Per Anhalter kehren sie in ihr Zuhause zurück. Ohne Unterbrechung habe es in der folgenden Nacht Luftangriffe gegeben, sagt er. Am nächsten Morgen laufen sie aus dem Dorf, in dem sich die Villa befindet, die fünf Kilometer Distanz zurück nach Nabatieh: Er, seine frisch entbundene Frau, ein Kleinkind und ein Neugeborenes. Zwei Stunden hätten sie gebraucht und kaum etwas von zu Hause mitgenommen: “Wir konnten kaum unser eigenes Gewicht und das der Kinder tragen”. Statt eines Taxis finden sie dort ein Team des Zivilschutzes. Einer von ihnen nimmt sie schließlich mit nach Saida.

Die Stadt liegt südlich von Beirut, aber nördlich von Nabatieh. Ein Bekannter hat dort ein kleines Zimmer. Adams Frau und die beiden Kinder schlafen darin, er und sein Bekannter unter freiem Himmel. Am nächsten Tag habe es auch auf Saida einen Luftangriff gegeben – und die Familie zieht erneut weiter. Ein Bekannter habe ihm von der Unterkunft in der St.-Josephs-Kirche in Beirut erzählt, sagt Adam. Mit letzter Kraft schaffen sie es dorthin.

Adams Familie gewöhnt sich an das Leben in der Notunterkunft

Was nun mit ihnen geschehen wird und ob er seine Arbeitsstelle behält, weiß Adam nicht. Im Libanon will er dennoch bleiben: Seine Heimatregion Darfur ist vom Krieg im Sudan schwer betroffen. Militärgeneral Abdel Fattah al-Burhan und der Chef der Miliz Rapid Support Forces, Mohammed Hamdan Daglo, kämpfen um die Vorherrschaft im Land. Zwischen 20.000 und 150.000 Menschen sollen dabei je nach Quelle bisher getötet worden sein. Mehr als 10 Millionen Menschen haben in dem Land ihre Heimat verloren und sind auf der Flucht. “Viel schlimmer” sei der Krieg dort als im Libanon.

Adams Familie gewöhnt sich an das Leben in der Notunterkunft. Er habe sogar Freunde aus dem Süden dort wiedergetroffen. Es sei für alles gesorgt, sagt er: ein Dach über dem Kopf, Essen, gespendete Kleidung. “Was im Libanon passiert, ist eine Katastrophe. Aber ich danke Gott für jeden, der uns hilft.”