Faszination Flaschenpost: Viel mehr als nur Nostalgie
Im Zeitalter des Plastikmülls sind Flaschen im Meer ein Problem. Doch die Flaschenpost umgibt ein Mythos. Manch einer findet am Strand Botschaften aus dem Ausland.
Wer hat als Kind nicht schon einmal davon geträumt, eine Flaschenpost zu finden, die an einem weit entfernten Strand ins Wasser geworfen wurde? Und wer hat nicht gern Erzählungen von Schiffbrüchigen gelesen, die nur mit Hilfe einer Flaschenpost von einer einsamen Insel gerettet wurden?
Romantische Vorstellungen, die wenig mit der Realität zu tun haben, wie der Literaturwissenschaftler Wolfgang Struck in seinem Buch „Flaschenpost“ feststellt. Ihm sei kein einziger Fall bekannt, in dem Verunglückte per Flaschenpost Hilfe bekamen. Auch hätten sich alle Geschichten über Funde von Schatzkarten in dem Strandgut als Legenden erwiesen, sagte er in einem Interview der „Welt“.
Flaschenpost: Nachricht aus Spanien gefunden
Dennoch: Nostalgie und Seefahrtsromantik schwingen mit, wenn Kinder und Erwachsene am Strand nach Flaschen mit Botschaften suchen – oder solche Botschaften selber im Meer aussetzen. Das weiß auch Katrin Kleemann vom Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte in Bremerhaven: Immer wieder melden sich beim Museum Menschen, die von Flaschenpost-Funden und Nachrichten aus weit entfernten Ländern berichten.
Beispielsweise Andreas Klenck: Der 58-Jährige hat seit seiner Kindheit ein regelrechtes Jagdfieber entwickelt. „Als Kind habe ich am Wremer Tief eine Flasche aus Cordoba gefunden – natürlich habe ich zurückgeschrieben, allerdings nie eine Antwort bekommen“, erzählt der Mitarbeiter des Schifffahrtsmuseums. Als er vor wenigen Jahren mit seinen Patenkindern gut verkorkte Weinflaschen mit einer Karte und der Adresse der Kinder losschickte, kam sechs Monate später Post aus Großbritannien. Eine andere Flasche schaffte es innerhalb von neun Monaten nach Norwegen.
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„Man weiß nie, ob eine Antwort kommt“, sagt Klenck. Für Literaturwissenschaftler Struck macht das die Faszination aus: eine völlig unwahrscheinliche Kommunikation ins Blaue, die komplett der eigenen Kontrolle entzogen ist. Struck berichtet auch von Fällen, in denen Absender von Flaschenpost keinen Kontakt suchten, sondern einfach etwas loswerden wollten: Eine Mutter wendet sich per Flaschenpost an ihren verstorbenen Sohn, um sich vom Trauma des Verlusts zu befreien.
Doch Kleemann, die sich als Historikerin vor allem mit der Deutschen Seewarte befasst, kennt auch eine wissenschaftliche Nutzung von Flaschenpostsendungen. Der Gründer der Seewarte, Polarforscher Georg Balthasar von Neumayer, ließ im 19. Jahrhundert Tausende Flaschen aussetzen, um Meeresströmungen zu erforschen.
Flaschenpost nach 131 Jahren entdeckt
Die Seewarte beauftragte die Kapitäne deutscher Handelsschiffe, Vordrucke für Flaschenposten mit auf Reisen zu nehmen, die sie dann an bestimmten Positionen über Bord werfen sollten. Die Finder wurden ersucht, die Vordrucke mit Informationen über den Fundort zurückzusenden. Noch 2018 stolperte ein Paar am Strand von Wedge Island in Australien über eine Flasche, die 1886 von der deutschen Barke „Paula“ ausgeworfen worden war – 131 Jahre später.
Allerdings dürfte der Wert des Experiments durchaus begrenzt gewesen sein, wie Kleemann und Literaturwissenschaftler Struck betonen. Es blieb viel Raum für Spekulation, weil ja nur Anfangs- und Endpunkt der Flaschendrift bekannt waren. „Nichtsdestotrotz floss das Wissen in Strömungskarten ein, die von der Deutschen Seewarte im Lauf der Jahre zu den verschiedenen Ozeanen herausgegeben wurde“, sagt Kleemann. Nach ihren Angaben folgten dem Aufruf der Seewarte schätzungsweise 6.000 Kapitäne. Gefunden wurden letztendlich knapp 1.000 Flaschen, die beim Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie aufbewahrt werden.
Heute gibt es andere Möglichkeiten, die Meeresströmungen zu untersuchen, etwa durch Messungen auf Schiffen, auf dem Meeresboden verankerte Bojen oder Tauchroboter. Manchmal bringt auch der Zufall Erkenntnisse: Dazu gehören fünf Container mit 61.000 Paar Sportschuhen, die auf dem Weg von Korea in die USA 1990 über Bord gingen. 2,6 Prozent dieser mit Seriennummern versehenen Schuhe wurden gefunden und konnten so Aufschlüsse über die Meeresströmungen liefern.