Fall Kardinal Hengsbach: Forscher untersuchen Missbrauchsvorwürfe
Mit einer sozialwissenschaftlichen Studie und einer historischen Biografie lässt das Bistum Essen die Missbrauchsvorwürfe gegen seinen früheren Bischof Franz Hengsbach (1910-1991) aufarbeiten. In der ersten Phase des auf drei Jahre angelegten Forschungsprojekts sollen die aktuell erhobenen Tatvorwürfe und der Umgang der Verantwortlichen in der Diözese untersucht werden, wie die Wissenschaftler am Montag in München und Hamburg ankündigten. Mit Hengsbach steht erstmals ein deutscher Kardinal unter Verdacht, in seiner Amtszeit Minderjährige sexuell missbraucht zu haben.
Seit der Veröffentlichung von zwei Verdachtsfällen vor einem Jahr hätten sich sieben weitere Betroffene möglicher sexualisierter Gewalt durch den früheren Ruhrbischof an das Bistum gewandt, berichtete der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer. Weitere Personen hätten angegeben, sich an anders gelagerte Fälle von Machtmissbrauch durch Hengsbach zu erinnern.
Die an dem Projekt beteiligten Forschungsinstitute wandten sich mit einem Aufruf an Menschen, die weitere Auskünfte zu Kardinal Hengsbach geben können, sich bei ihnen zu melden. Das gelte etwa für Personen, die selbst von Grenzüberschreitungen, sexualisierter Gewalt oder Machtmissbrauch betroffen waren, dieses beobachtet oder davon berichtet bekommen haben. Auch wer den Bischof noch persönlich erlebt habe und über positive wie negative Erfahrungen berichten könne, solle sich an das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) wenden.
Neben den konkreten Vorwürfen gegen den vor mehr als 30 Jahren gestorbenen Bischof wollen das in München ansässige IPP und die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (ZFH) auch untersuchen, ob Hengsbach andere des sexuellen Missbrauchs beschuldigte Geistliche geschützt hat. Klären wollen die Forscher außerdem, welche Dynamiken die Beschuldigungen gegen den Kardinal bei beteiligten Institutionen ausgelöst hätten, und welche milieuspezifischen, religionsbezogenen und familienbiografischen Faktoren Hengsbach geprägt hätten.
Auftraggeber der Forschungen sind neben dem Bistum Essen das Erzbistum Paderborn, die Bischöfliche Aktion Adveniat, die katholische Soldatenseelsorge und das Zentralkomitee der Katholiken. Auch in diesen Institutionen hatte Hengsbach an leitender Stelle gewirkt. Die miteinander kooperierenden Studien von IPP und ZFH sind nach Angaben der Institute auf drei Jahre angelegt und sollen in eigenständige Buchpublikationen münden. Nach der ersten Phase wollen IPP und ZFH erste Ergebnisse zu den konkreten Vorwürfen gegen Hengsbach veröffentlichen.