Expertin: Bei Verdacht auf eine Essstörung nicht wegschauen
Erstmal abwarten und auf Besserung hoffen? Das ist laut einer Beraterin keine gute Idee, wenn jemand an einer Essstörung leiden könnte. Sie rät zu offenen Worten – und zum Löschen einer bestimmten App.
Wenn eine Person im nahen Umfeld eine Essstörung haben könnte, sollte man dies nach Worten einer Therapeutin unbedingt ansprechen. “Konkrete Beobachtungen mitteilen und der eigenen Sorge Ausdruck verleihen, ohne zu werten oder zu verurteilen, ein offenes Ohr haben und Hilfe anbieten”, riet Sandra Steiner Roth im Interview der Zeitschrift “Psychologie Heute” (September-Ausgabe). Die Beraterin hat im Frühjahr das Buch “Das Stück Brot ist wieder ein Stück Brot” veröffentlicht.
Zu hoffen, dass sich das Problem von selbst löse, sei keine gute Strategie. “Eine Essstörung ist eine ernste psychosomatische Erkrankung”, betonte Steiner Roth. “Übermäßiges Essen oder Nichtessen sind Strategien, um sich der Realität zu entziehen und vor den Schwierigkeiten, dem Selbsthass und den bedrohlichen Gefühlen zu fliehen.”
Oftmals erlebten Betroffene ihren Alltag als unkontrollierbar, erklärte die Expertin. Sie litten unter Ängsten, aber auch unter Wut oder Verzweiflung. Nur in der Essstörung erlebten sie ein “Gefühl von Autonomie und Selbstwirksamkeit. So gesehen erfüllt die Krankheit eine – vermeintlich – hilfreiche Funktion.” Tatsächlich könne dieses Verhalten jedoch “äußerst gesundheitsschädigend” sein.
Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der diagnostizierten Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen kontinuierlich angestiegen. Dazu zählt neben Magersucht und Bulimie auch die “Binge-Eating-Störung”: Betroffene leiden unter wiederkehrenden Essanfällen, die unabhängig von Hungergefühlen auftreten.
Ein geringes Selbstwertgefühl begünstige Essstörungen, fügte Steiner Roth hinzu. Betroffene verglichen sich ständig mit anderen, “und dies meist zu ihren Ungunsten. Sie bekunden oft, dass sie Mühe damit haben, ander Menschen realistisch einzuschätzen, und neigen zu Idealisierung oder Abwertung.” Sie schlage in ihren Beratungen häufig vor, zumindest zeitweise auf soziale Medien wie Instagram zu verzichten, das Vergleiche schüre und zu einem Gefühl eigener Wertlosigkeit beitragen könne. “In vielen Fällen hat der Verzicht darauf zu einer Entlastung und Erleichterung geführt.”