Experten fordern staatliche Hilfe zur Aufklärung von Missbrauchsfällen

Mit dem Erzbistum Freiburg hat eine weitere Diözese eine Missbrauchsstudie veröffentlicht. Fachleute fordern eine staatliche Gesamtuntersuchung, was an Missbrauchsgeschehen im Land stattgefunden hat.

Im Rahmen der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche hat die Erzdioezese Freiburg der Staatsanwaltschaft Personalakten von 190 Beschuldigten übergeben
Im Rahmen der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche hat die Erzdioezese Freiburg der Staatsanwaltschaft Personalakten von 190 Beschuldigten übergebenImago / Winfried Rothermel

Der Sozialpsychologe Heiner Keupp hat nach der Veröffentlichung der Missbrauchsstudie im Erzbistum Freiburg eine bundesweite Missbrauchsstudie gefordert. Die Bundesrepublik brauche eine gründliche Gesamtuntersuchung, was an Missbrauchsgeschehen im Land stattgefunden habe, sagte Keupp im SWR. Das könnten die einzelnen Kirchen oder der einzelne Sportverein nicht allein leisten, sondern da müsse die Bundesregierung ein großes Forschungsprojekt aufstellen, forderte er. Keupp ist Mitglied der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung.

Die Betroffeneninitiative „Eckiger Tisch“ forderte eine staatliche Untersuchung durch eine Kommission im Auftrag des Landtags in Baden-Württemberg. Aus Sicht von Betroffenen sei in Freiburg die konkrete Aufklärung von Verbrechen zu kurz gekommen, sagte der Sprecher der Initiative, Matthias Katsch.

Missbrauchsbericht vom Erzbistum Freiburg

Mit dem Erzbistum Freiburg hatte eine weitere Diözese einen eigenen Missbrauchsbericht veröffentlicht. Demnach haben zwischen 1946 und 2014 rund 540 Kinder und Jugendliche im Erzbistum sexuelle Gewalt durch Priester und Ordensleute erlitten. Der Bericht listet mehr als 250 beschuldigte Priester und 33 weitere Beschuldigte wie etwa Diakone auf.

Im Zentrum der Vorwürfe stehen die früheren Erzbischöfe Robert Zollitsch und Oskar Saier. Ihnen werden in dem 600-seitigen Bericht „massive Vertuschung“ und „Ignoranz geltenden Kirchenrechts“ vorgeworfen. Zollitsch war von 2008 bis 2014 auch Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Ihm wird vorgeworfen, Missbrauchsverdachtsfälle konsequent nicht nach Rom gemeldet zu haben. Der amtierende Erzbischof Stephan Burger hat seinen Amtsvorgänger beim Heiligen Stuhl wegen Missachtung des Kirchenrechts angezeigt.

Betroffene bleiben auf der Strecke

Keupp sagte, an dem Verhalten der Erzbischöfe sei sichtbar, was sich auch anderswo gezeigt habe. Der Institutionenschutz sei wichtiger als der Schutz der Opfer. „Auf der Strecke bleiben immer die Betroffenen“, sagte Keupp.

Katsch sagte, Zollitsch sei der erste deutsche Bischof gewesen, der sich im Februar 2010 nach Bekanntwerden des Missbrauchskandals bei den Opfern entschuldigt habe: „Heute wissen wir, er tat dies nicht stellvertretend, er war selbst schuldig.“

Kirchenrechtler schockiert

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller äußerte sich schockiert vom Verhalten des emeritierten Erzbischofs Zollitsch. „Erschreckend ist die völlige Ignoranz von Zollitsch, der als einer der dienstältesten Personalchefs schlimmste Missbrauchsfälle gedeckt und Täter geschützt hat“, sagte er dem Redaktions-Netzwerk Deutschland. „Die Herzenskälte von Zollitsch hat mich schockiert.“

Zugleich lobte Schüller das Handeln von Zollitschs Nachfolger Burger: „Dass Burger seinen Vorgänger konsequent in Rom anzeigt, hat eine neue Qualität. Das ist ein Fall, in dem der Vatikan Zollitsch bischöfliche Rechte entziehen könnte.“ Unklar sei jedoch, ob Rom das kanonische Recht auch anwende. Eine Entlassung aus dem Klerikerstand seit nicht wahrscheinlich, sagte Schüller.