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Experte: So treiben Facebook und Co. Nutzer zum Hass

Beleidigen, provozieren, polarisieren: Online fallen Hemmungen schnell. Ein Forscher erklärt, welche Bedürfnisse dahinterstehen – und wie soziale Medien sie verzerren.

In sozialen Medien fallen die Hemmungen schnell. Social-Media-Experte Jacob Johanssen von der St. Mary's University in London erklärt, warum
In sozialen Medien fallen die Hemmungen schnell. Social-Media-Experte Jacob Johanssen von der St. Mary's University in London erklärt, warumImago / Depositphotos

Auch wer namentlich oder mit Foto erkennbar ist, verhält sich im Internet oft nicht zivilisiert: Das beobachtet der Kommunikationswissenschaftler Jacob Johanssen von der St. Mary’s University in London. “In den sozialen Medien ist komplette Anonymität ohnehin kaum noch möglich”, sagte er der Zeitschrift “Psychologie Heute” (Oktober-Ausgabe). Enthemmtes Verhalten hänge eher damit zusammen, dass die Plattformen dazu anregten, “immer neue Inhalte zu produzieren – und zwar schnell, assoziativ und unreflektiert. Die Algorithmen belohnen emotionale und polarisierende Inhalte.”

Soziale Netzwerke und Dating-Apps sprächen ein tiefes menschliches Bedürfnis an, fügte Johanssen hinzu: “Wir alle wollen gesehen und gemocht werden. Dem liegen eine starke Unsicherheit und Verletzlichkeit zugrunde”. Dies sei nichts Schlechtes, doch viele Anbieter “verstärken und pervertieren diese Bedürfnisse”. Dies zeige sich sowohl im Versprechen von Dating-Apps, dass nach jeder Enttäuschung noch zahllose weitere Personen ansprechbar seien, als auch in der Annahme, jede und jeder könne über Nacht zum Internetstar werden.

Online-Mobbing: Lieber Troll als ganz allein

Ein “Hater” zu sein, also online zu mobben oder Hetz-Nachrichten zu posten, gebe Menschen das Gefühl, zu einer Gemeinschaft zu gehören. “Diese kollektive Macht verdeckt die Öde im eigenen Leben – ähnlich wie beim Schulhofmobbing, nur tausendfach verstärkt”, erklärte der Forscher. Sogenannte Trolle wüssten zugleich, dass sie Regeln verletzten. “Das erinnert an Kinder, die provozieren: Sie setzen immer noch eins drauf, bis ihre Eltern dem Ganzen ein Ende setzen.”

Gegen diese Dynamik könne es hilfreich sein, “Momente des Innehaltens” in die Plattformen einzubauen. So könnte vor dem Teilen von Inhalten stets gefragt werden, ob man diese überhaupt gelesen habe; bei manchen Anbietern könne man Mails innerhalb weniger Sekunden noch zurückholen. Diese Entschleunigung sei sinnvoll, betonte Johanssen.

Online-Posts: Wunsch nach spiritueller Anerkennung

Grundsätzlich richteten sich Online-Posts an das Publikum auf der jeweiligen Plattform, aber auch an eine “übergeordnete kulturelle Instanz”, sagte der Experte: “Es ist nicht Gott, nimmt aber einen ähnlichen Stellenwert ein.” Auch wenn Menschen nicht an ein solches übergeordnetes Wesen glaubten, wollten sie aber dennoch von ihm gesehen und anerkannt werden. “Das ist natürlich ein Widerspruch, aber so verhalten sich Menschen.”