Experte Joel Fischer über „Handy-Knochen“ und Smartphones
Vor 40 Jahren brachte das US-Unternehmen Motorola das erste Handy auf den Markt.
Vor 40 Jahren brachte das US-Unternehmen Motorola das erste Handy auf den Markt. Wobei es mobile Telefonie schon deutlich früher gab, wie Joel Fischer von der Museumsstiftung Post und Telekommunikation im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert. Der Kunsthistoriker, zugleich Spezialist für Kultur- und Technikgeschichte, ist seit 2017 für die Museumsstiftung tätig und seit 2019 für den Sammlungsbereich „Digitale Technologien“ zuständig.
KNA: Herr Fischer, wann hat das eigentlich in Deutschland angefangen mit der mobilen Telefonie?
Fischer: Das erste Telefon für unterwegs befand sich 1926 in einem Zug.
KNA: Wie funktionierte das?
Fischer: Natürlich war die Technik nicht vergleichbar mit der von heute. Es gab einen Draht entlang der Bahnstrecke Berlin-Hamburg. Wenn dort ein Zug entlang fuhr, konnte man eine kurze Funkverbindung aufbauen. Diese erlaubte es, mobil zu telefonieren. Damals war der Rundfunk groß im Kommen. Man plante deswegen eine Art Multimedia-Plattform im Zug, wo die Reisenden dann auch Zugriff auf den Radioempfang haben sollten.
KNA: Wie ging es dann weiter?
Fischer: Mit dem Autotelefon. Eine recht mühsame Sache, weil es viele verschiedene Funkzellen mit unterschiedlicher Vorwahl gab. Man konnte eigentlich nur anrufen, wenn man wusste, wo sich das Auto aufhält.
KNA: Warum?
Fischer: Beim Wechsel in eine andere Funkzelle wurde das Gespräch abgebrochen.
KNA: Vor 40 Jahren, am 21. September 1983, brachte die Firma Motorola dann das erste Handy heraus. Ein Schritt, der die mobile Telefonie revolutionieren sollte.
Fischer: Ich rate bei solchen Daten zu etwas Vorsicht, weil es zu der Zeit sehr unterschiedliche Entwicklungen in den einzelnen Ländern gab. Das hing vor allem mit dem Netzausbau zusammen. Motorola hat in den USA viel Geld in diesen Bereich investiert und mit seinem backsteingroßen „Handyknochen“ zunächst den dortigen Markt bespielt. In Deutschland hat sich das abweichend entwickelt.
KNA: War die Bundesrepublik im internationalen Vergleich ein Nachzügler?
Fischer: Nein, Deutschland war schon vorne mit dabei. Bereits 1958 hatte man mit dem A-Netz das größte zusammenhängende öffentliche Mobilfunknetz der Welt aufgebaut. Das von Siemens entwickelte C-Netz war 1986 technisch innovativ, weil die Gespräche erstmals automatisch von einer Funkzelle zur anderen weitergegeben wurden. Erst dadurch waren die Mobiltelefone überall erreichbar. Auch beim digitalen D-Netz ab 1992 gab es wichtige Impulse aus Deutschland.
KNA: Kaum zu glauben, bei den Funklöchern, mit denen wir 2023 immer noch zu kämpfen haben…
Fischer: Man kann der Bundespost verstaubtes Denken in gewissen Bereichen nicht absprechen. Aber im Bereich der Fernmeldetechnik waren die schon sehr innovativ unterwegs.
KNA: Wie haben die Menschen auf die frühen Handys reagiert?
Fischer: Also, das war anfangs schon was ganz Großes, wenn Leute plötzlich nicht mehr nur zuhause telefonierten, sondern auf die Straße gingen und in ihre sperrigen Mobiltelefone plärrten. Da gab es dann natürlich auch Gegner, die das Handy als „Yuppie-Lutscher“, also als Accessoire von vermögenden Angebern, verunglimpften.
KNA: Diese Art der distanzlosen Kommunikation hat immer noch ein gewisses Störpotenzial…
Fischer: Trotzdem begann ab etwa Mitte der 1990er-Jahre der unaufhaltsame Siegeszug der Handys. Ein wichtiger Meilenstein waren die Textnachrichten in Form von SMS. In Deutschland ging das ab 1994. Es gab Telegramme, Postkarten, aber mit der SMS erhöhte sich die Kommunikationsgeschwindigkeit. Die Aussicht, schnell Informationen austauschen zu können, zu chatten, verleitete zahlreiche Menschen, sich ein Handy zuzulegen. Später kamen dann die Feature-Phones auf, die auch die Funktionen eines Walkmans oder eines MP3-Players übernahmen. Seit der Jahrtausendwende gibt es die Smartphones. Eigentlich keine Handys mehr, sondern kleine Computer.
KNA: Was hat das mit uns gemacht?
Fischer: Ich rede in diesem Zusammenhang gern von Kompetenzverlust, weil man vergessen hat, wie man einen Busfahrplan liest oder eine Landkarte. Wir speichern weniger Wissen im eigenen Kopf – und sind inzwischen eigentlich abhängig von diesen Geräten.
KNA: Tja…
Fischer: Aber andererseits gibt es einen Trend zur Verschriftlichung, der mit den SMS angefangen hat. Es ist ja oft auch so, dass man schon gar nicht mehr jemanden auf dem Handy anruft, sondern erstmal schreibt und einen Termin zum Telefonieren ausmacht. Heute lesen die Menschen viel mehr als vor einigen Jahren. Das finde ich ganz interessant – auch wenn man die Qualität mancher Texte hinterfragen kann.
KNA: Ganz sicher zu den Schattenseiten gehört der Elektroschrott, den wir mit den Handys produzieren.
Fischer: Eine Schmuckdesignerin hat mir letztens erzählt, dass in 40 Handys ein Gramm Gold steckt. Und das ist ja nur einer der vielen Rohstoffe aus denen ein Handy besteht. Eigentlich können wir es uns gar nicht mehr leisten, auf großflächiges Recycling zu verzichten.
KNA: Davon sind wir weit entfernt.
Fischer: Hinzu kommt der steigende Energieverbrauch. Streaming, Internet, Social Media – das alles braucht ja Strom, und der wird meist nicht nachhaltig erzeugt, so dass man Handys etwas provokativ formuliert zu den größten Klimasündern der Welt zählen könnte. Diese Diskussion wird aber kaum geführt.
KNA: Was wird uns wohl in der Zukunft erwarten?
Fischer: Ich vermute, dass die Handys immer mehr zu Computern im Westentaschenformat mutieren und sich mehr und mehr mit unterschiedlichen Benutzeroberflächen oder Geräten vernetzen, Stichwort Smart Watches und Datenbrillen. Vielleicht werden wir irgendwann auch zu Cyborgs oder besser „Smartborgs“, die sich ein Smartphone unter die Haut implantieren lassen.
KNA: Gruselig.
Fischer: Ach, ich bin eher neugierig, auf das, was da kommt. Es bleibt spannend. Und es könnte ja auch sein, dass erst einmal gar nichts Revolutionäres passiert. Weil die Menschen mit dem Smartphone, so wie es ist, ganz zufrieden sind.