“Exile never ends” – TV-Premiere über eine alevitische Familie
Sehenswerter Dokumentarfilm über eine alevitische Familie, die vor politischer Verfolgung nach Deutschland geflohen ist, aber nicht aus dem Dunstkreis des Exils herausgefunden hat.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Taner, der älteste Bruder der Filmemacherin Bahar Bektas, sitzt in Deutschland im Gefängnis und steht kurz vor der von ihm selbst beantragten Abschiebung in die Türkei. Während der zermürbenden Zeit des Wartens richtet sie die Kamera auf ihre Eltern und anderen Brüder. Sie stellt Fragen, die stets direkt sind und einfach. Es sind die Fragen einer Filmemacherin, die ausgebildete Sozialpädagogin ist, aber auch Tochter und Schwester: “Wie fühlst du dich dabei?” Die Antworten fallen schwer. Sie gleichen eher einem Suchen und Herantasten als klaren Auskünften.
Auch der Film selbst geht tastend vor und erkundet die Familiengeschichte Stück für Stück in vorsichtigen, behutsamen Bewegungen. So beschwört er Mosaiksteine zwischen politischer Verfolgung als alevitische Kurden, Flucht, Entwurzelung, Neubeginn und Aufbruch herauf, ohne dass die Familie je aus dem Dunstkreis des Exils herauskommt.
Yildiz und Mustafa Bektas packen ein paar Sachen zusammen: eine Kaffeemaschine, ein paar Schuhe, eine gefütterte, noch ungetragene Weste: “Vielleicht trägt er sie im Winter, wenn es in der Türkei kalt ist.” Taner, ihr ältester Sohn, sitzt in einem deutschen Gefängnis und soll bald in die Türkei abgeschoben werden. Das hat er selbst beantragt. Er hofft, so vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden und sich in dem anderen Land bald ein neues Leben aufbauen zu können.
Die Familie befindet sich seitdem in einer zermürbenden Warteschleife. Bescheide stehen aus, es gibt administrative Hürden, Termine beim Anwalt, ein nächstes Schreiben will verfasst werden, eine nächste Frist abgewartet werden. In diesem für alle belastenden Schwebezustand richtet die Regisseurin Bahar Bektas ihre Kamera auf die Mitglieder ihrer Familie – und immer wieder auch auf sich selbst. Sie stellt Fragen, die stets direkt sind und einfach. Es sind die Fragen einer Filmemacherin, die ausgebildete Sozialpädagogin ist, aber auch Tochter und Schwester: “Wie fühlst du dich dabei?” Die Antworten fallen schwer. Sie gleichen eher einem Suchen und Herantasten als klaren Auskünften. Zu ambivalent, zu kompliziert sind die Gefühlslagen.
Auch “Exile Never Ends”, das Dokumentarfilmdebüt von Bektas von 2024, tastet sich an die Familiengeschichte heran und erkundet sie in vorsichtigen, behutsamen Bewegungen. Dem medial verbreiteten Narrativ des kriminell gewordenen jungen Mannes mit Einwanderergeschichte setzt der Film eine andere, weitaus komplexere Erzählung entgegen. Der Blick gilt dabei immer auch dem Strukturellen. Und doch ist “Exile Never Ends” ein durch und durch persönlicher Film.
Bahar Bektas filmt im Wohnzimmer der Eltern, in der Küche, an der Arbeitsstelle, im nie ganz fertiggebauten Haus in der Türkei, wo der Vater alles für Taners Ankunft vorbereitet. Ein Ofen wird installiert, aber Wochen und Monate vergehen, ohne dass etwas passiert. Bald liegen die überreifen Quitten im Garten auf der Erde, und das Jahr neigt sich dem Ende zu. Der Vater reist zurück nach Deutschland, ohne seinen Sohn in Empfang genommen zu haben.
Aus den Gesprächen, die teilweise aus dem Off zu hören sind, setzen sich Bruchstücke einer Flucht- und Exilgeschichte zusammen. Der Vater wurde als alevitischer Kurde politisch verfolgt und im Gefängnis schwer gefoltert. Yildiz Bektas flüchtete mit den beiden Kindern nach Deutschland. Sie erzählt von rassistischen Übergriffen in der Flüchtlingsunterkunft und von der demütigenden Erfahrung, an einem wohlhabenden Ort wie Starnberg mit Gutscheinen einkaufen zu müssen. Mustafa Bektas sieht vor allem im Wohlstandsumfeld den Grund für das Abgleiten des Sohnes. Er habe Minderwertigkeitsgefühle gehabt und sich geschämt, Freunde mit nach Hause zu bringen: “Er mochte nicht, was er war.”
Taner ist im Film nur bei Skype-Gesprächen auf dem Bildschirm des Laptops zu sehen. Auch wenn er seit seinem fünften Lebensjahr in Deutschland lebt, sieht er im Land, das ihn bis heute als Fremden betrachtet, keine Perspektive mehr. Auch Onur, der jüngere Bruder, trägt sich mit dem Gedanken, in die Türkei zu gehen. Schon lange kämpft er mit Depressionen. Das Fehlen eines verlässlichen Ausblicks hat ihn ausgelaugt und entmutigt.
Auch wenn die Familie Bektas in der Sprache des populären politischen Diskurses “bestens integriert” ist – sie arbeiten hart, im Wohnzimmer steht ein Weihnachtsbaum – erinnert die deutsche Mehrheitsgesellschaft sie ständig an ihr “Anderssein”. Der Zustand eines ewigen Exils hat sich in ihrem Leben eingenistet. Nun haftet auch noch das Stigma des straffällig gewordenen Sohnes an ihnen: “Er hat sich und uns zerstört.” Unermüdlich müssen sie kämpfen: gegen die Mühlen der Bürokratie, die schlechte Behandlung bei den Gefängnisbesuchen, wo man sie warten lässt oder Besuchszeiten ohne Angaben von Gründen einfach verkürzt. “Es wäre auch mal schön, ohne eine Last zu leben”, meint Taner einmal.