Ex-Obdachlose hilft heute selbst wohnungslosen Frauen

Hygiene, Schutz, Schlafplätze – das sind die Herausforderungen für obdachlose Frauen. Linda Rennings engagiert sich für sie und fordert sicheren Wohnraum sowie mehr Respekt im Umgang mit Menschen auf der Straße.

Sie selbst hat jahrelang auf der Straße gelebt, heute unterstützt Linda Rennings andere obdachlose Frauen. Die 60-Jährige hat bereits 2014 den Verein “Heimatlos in Köln” für Frauen und Mädchen gegründet und in diesem November ein Buch veröffentlicht (“Rebellin der Straße”). Darin berichtet sie von ihrem schweren Lebensweg und gibt Einblicke, wie sich Obdachlosigkeit anfühlt. Vor allem Frauen seien Gefahren ausgesetzt; ihnen begegneten auf der Straße zusätzliche Schwierigkeiten, erklärt Rennings im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Das fängt mit dem Toilettengang an”, sagt sie.

So gebe es in den meisten Städten in Deutschland zu wenige öffentliche Toiletten, kritisiert Rennings. Diese seien jedoch besonders für Frauen wichtig, die etwa während ihrer Periode Hygieneprodukte wechseln und entsorgen müssten. “Ein Mann kann sich an den Baum stellen, das kann eine Frau nicht.” Die Kölnerin lebt seit 2011 in ihrer eigenen Wohnung und ist ausgebildete Genesungsbegleiterin mit dem Schwerpunkt auf Sucht- und psychische Erkrankungen. Seit 2012 ist sie eigenen Angaben zufolge als Streetworkerin tätig.

Rennings empfiehlt obdachlosen Frauen, einen Hund zu halten. “Weil der anschlägt, wenn sich jemand nähert”, erklärt sie. Allerdings gebe es nicht ausreichend Schlafplätze für Menschen mit Hunden. Für Rennings, die selbst einen Vierbeiner besitzt, ist das ein “Skandal”. Auf der Straße gebe es keine sicheren Schlafplätze. “Ich plädiere immer dafür, dass man in Gruppen draußen zusammen schläft”, berichtet die Vereinsgründerin. Allein schlafende Frauen seien ansonsten verstärkt Gefahren wie Überfällen, sexuellen Übergriffen oder Vergewaltigungen ausgesetzt.

Ihrer Erfahrung nach landen immer mehr ältere Menschen auf der Straße. Das seien etwa Frauen in Altersarmut, die ihre Miete nicht mehr zahlen könnten und geräumt würden. “Sie haben sehr häufig tatsächlich einen Hund”, berichtet die Kölnerin. “Eine ältere Dame wird sich aber kaum von ihrem Hund trennen, nur damit sie ein Bett in einer Mehrbettunterkunft kriegt.” Wie aus einer Mitteilung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe aus dem vergangenen Jahr hervorgeht, sind in Deutschland 607.000 Menschen wohnungslos, davon waren mehr als 40 Prozent der über 18-Jährigen Frauen.

Doch egal ob Mann oder Frau, laut Rennings müssen sich alle Obdachlosen “anders organisieren” als jene Menschen, die ein Dach über dem Kopf haben. Wo können sie einen Kaffee trinken, wo zur Toilette gehen, wo ihre Sachen waschen? Haben sie das Geld dafür, oder wo ist heute der beste Platz, um zu betteln? Rennings sagt: “Man muss dabei bedenken, dass die Angebote in den Einrichtungen Geld kosten. Duschen, essen, trinken: Das muss bezahlt werden.” Da seien schnell einige Euro weg, der Tag aber noch längst nicht vorbei. “Obdachlose brauchen das Geld also nicht nur für Drogen und Alkohol”, betont die Autorin.

Ihr Verein “Heimatlos in Köln” ist als aufsuchende Hilfe vor Ort unterwegs. “Wir helfen bei Personalausweisbeschaffungen, Ämter- und Behördenanträgen oder machen Termine”, berichtet Rennings. Denn so schön die Digitalisierung auch sei – für Menschen ohne Wohnung stellt sie oft ein Problem dar. “Längst nicht jeder Obdachlose hat ein Handy, Internet oder kann eine Email schreiben”, berichtet Rennings. Neben der Hilfe bei bürokratischen Dingen und Lobbyarbeit verteilt der Verein regelmäßig Hilfsgüter wie Essen, Trinken, Hygieneartikel, Hundefutter und Supermarkt-Gutscheine. “Damit sich die Leute selber etwas aussuchen und kaufen können”, sagt Rennings. “Das hat etwas mit Selbstwert, Respekt und Würde zu tun.”

Rennings appelliert an jeden Einzelnen, obdachlose Menschen nicht zu übersehen und ihnen mit Respekt zu begegnen. “Und wenn es nur ein Lächeln oder ein Hallo ist”, sagt die frühere Wohnungslose. “Die Menschen möchten gesehen werden.” Gegebenenfalls könne man dann fragen, ob derjenige Hunger oder Durst habe oder Hundefutter für seinen Vierbeiner benötige. “Dann bekomme ich eine Antwort und kann mir überlegen, ob ich ihm etwas hole.” Das direkte Ansprechen sei jedenfalls der bessere Weg, als obdachlosen Menschen etwas ungefragt vorzusetzen. “Das würde man bei seinem Nachbarn ja auch nicht machen. Und Obdachlose sind genauso Menschen wie du und ich”, sagt Rennigs.

Allerdings stellt sie auch fest, dass die Spendenbereitschaft durch die Inflation “drastisch” zurückgegangen ist. “Alle haben mit den höheren Lebenshaltungskosten und den gestiegenen Mieten zu kämpfen. Das macht sich bei den Obdachlosen bemerkbar.” Darüber hinaus mache es der mangelnde Wohnraum Menschen ohne Dach über den Kopf nahezu unmöglich, von der Straße herunterzukommen. Zwar will die Bundesregierung mit einem “Nationalen Aktionsplan” bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland überwinden, doch laut Rennings haben Obdachlose bislang “kaum Chancen und Aussichten” auf eine eigene Wohnung.

“Deswegen bräuchten wir alternativen Wohnraum” sagt die Autorin, die selbst ein großer Fan von “Housing First” ist. Dabei werden obdachlosen Menschen Wohnraum sowie Hilfen zur Verfügung gestellt, ohne dass sie zunächst ihre sogenannte Wohnfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Rennings zufolge müssten mehr Vermieter dazu bewegt werden, dass sie “Housing First”-Trägern Wohnungen überlassen. Außerdem fordert die ehemals Obdachlose verstärkt alternativen Wohnraum aufzumachen: etwa durch das Öffnen von Campingplätzen oder das Nutzen von leerstehenden Gebäuden und Hallen. “Es gibt immer das Vorurteil, Obdachlose wollten doch nicht anders leben. Aber doch, sie wollen schon. Die Möglichkeiten sind für sie aber begrenzt.”