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Evangelischer Kirchbautag: Geht es um Kirchen, reden viele mit

Die Kirchen der Zukunft sollen gut nutzbar sein und zugleich eine besondere Atmosphäre ausstrahlen, erklärt der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche Johann Hinrich Claussen im Interview.

Die Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg, eine der bedeutendsten Kirchen der Stadt, ist für ihre historische Architektur und ihre zentrale Rolle im Gemeindeleben bekannt
Die Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg, eine der bedeutendsten Kirchen der Stadt, ist für ihre historische Architektur und ihre zentrale Rolle im Gemeindeleben bekanntImago / Volker Preußer

Heute ist vor allem davon die Rede, dass Kirchen nicht mehr benötigt und zunehmend umgenutzt werden. Baut die Kirche überhaupt noch?
Johann Claussen:
Ja, Kirche baut noch. Aber es findet ein großer Transformationsprozess statt und der hat natürlich auch etwas mit Abbau und Rückbau zu tun. Es gibt zugleich viel Umbau, und das sind häufig architektonisch interessante und anspruchsvolle Projekte.

Inwiefern?
Das fängt damit an, wie man denkmalschutzgerecht in Dorfkirchen Toiletten und Teeküchen einbaut, damit dort Gemeinschaftsleben stattfinden kann, weil es die Kneipe nebenan nicht mehr gibt. Dann werden nämlich Dorfkirchen zu echten Dorfbegnungshäusern. Es sind häufig ganz einfache Maßnahmen. Oder es geht darum, Gemeinderäume in Kirchen einzubauen. Da passiert zurzeit sehr viel.

Und Neubauten?
Die gibt es durchaus auch. Vor allem dann, wenn mehrere Gemeinden sich zusammentun und dann feststellen, dass alle ihre Kirchen aus den frühen 60er Jahren stammen und eigentlich nicht zu retten sind, weil sie einfach das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. Und dann bauen sie gemeinsam neu.

Was ist beim Bauen wichtig?
Mir ist bei allen unterschiedlichen Formen des Bauens wichtig, dass wir nicht zu schnell bauen, sondern präzise mit den Menschen vor Ort klären, was denn eigentlich der Bedarf ist. Es gibt manchmal eine Flucht ins Bauen, auch ins Umbauen, wo man die Frage „Wozu ist ein Kirchengebäude eigentlich da?“ überspringt. Und dann kommen wunderbare Architekten, die einem sofort Pläne und verführerische Visualisierungen zeigen … Da sind wir gerade dabei, ein bisschen Bilanz zu ziehen und zu gucken, welche Um- und Neubauten sich bewährt haben. Das sind vor allem diejenigen, wo man mithilfe von Teilhabeverfahren gemeinsam herausgefunden hat, was benötigt wird.

Das heißt, Kirche guckt beim Bauen darauf, was die Gemeinde, was die Menschen brauchen. Spielen da auch soziologische Erkenntnisse und Veränderungen eine Rolle?
Ja. Es ist wichtig, nicht nur an die Kirchengemeinde im engeren Sinne zu denken, sondern auch an das soziale Umfeld. Und das ist eben je nach Ortsgröße und Gegend – Nord, Süd, Ost, West, Land oder Metropole – unterschiedlich, deshalb gibt es auch keine Einheitslösungen. Zugleich muss man aufpassen, dass man nicht theologischen oder architektonischen Moden folgt. Wenn man vorher Partizipation stattfinden lässt, dann verlangsamt das zwar den Prozess, führt aber am Ende zu den besseren Ergebnissen.

Wie werden Kirchen heute gebaut, und was ist der größte Unterschied zu klassischen Kirchen, wie wir sie kennen?
Bei den gelungenen Beispielen von Kirchenneubauten versucht man, zwei Pole miteinander zu verbinden. Bis zu den 1960ern gab es eine starke Orientierung an dem Gedanken, dass Gottesdiensträume sakrale Räume sein sollen, eine gewisse Aura haben sollen. Das ist schön und richtig, führt aber manchmal dazu, dass es keine Räume für Menschen sind. In den 1970er Jahren gab es dann eine radikale Abkehr davon, und man baute Gemeindezentren oder Kirchen, die zugänglich und praktisch waren, denen aber diese Aura fehlte. Im Grunde versucht man heute beides zu verbinden: eine gute Nutzbarkeit und eine besondere Atmosphäre.

Und gelingt es diese Aura zu schaffen?
Schon. Die letzten, die mir einfallen, haben bei aller Zugänglichkeit eine große Konzentration, fast schon Strenge. Sie arbeiten stark mit einer feinen Lichtführung – Bögen, Oberlicht, Seitenlicht –, um eine besondere Stimmung zu erzeugen.

Es gibt ja, wenn man in die Welt schaut, schon auch einen Trend, immer protziger und größer und spektakulärer zu bauen. Noch höhere Türme, noch mehr Gold – da gehen wir in Deutschland nicht mit, oder?
Nein, das ist sowieso unsinnig. Das sind Bauten, die eine kulturpolitische Funktion haben und Dominanz ausdrücken sollen, aber nicht für Menschen gedacht sind. Da ist unser Gemeindegedanke einfach sehr viel besser. Außerdem müssen wir präziser mit unseren Mitteln haushalten, das finde ich auch wichtig. Wir müssen beim Bauen genau nachdenken, warum eigentlich und wozu. Auch aus ökologischen Gründen: Bauen ist eine der umweltschädlichsten Tätigkeiten …

Ein Mann mittleren Alters mit Anzug sieht in die Kamera.
Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), am 18.05.2016 in der Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd) in Frankfurt am Main.

Ist es noch zeitgemäß, Kirchen zu bauen, wo wir doch so viele davon haben?
In Deutschland haben wir immer noch einen weltweit einzigartigen Bestand an Kirchengebäuden. Selbst in den ach so frommen USA ist das bei Weitem nicht der Fall. Und das Niveau, sowohl architektonisch als auch vom Erhalt her, ist einzigartig. Insofern muss jetzt nicht gleich das nächste Kirchbauprogramm durchgezogen werden. Aber an einzelnen Orten findet das durchaus statt, und es sind interessante Ergebnisse. Die stehen aber immer im Kontext mit dem Umgang mit den anderen Gebäuden. Mit jeder neuen Kirche, die gebaut wird, wird auch eine alte abgegeben oder abgerissen. Das sind Umstrukturierungen, die auch mit dem immensen Bauvolumen der Nachkriegsjahre zusammenhängen.

Versucht man das deutschlandweit im Blick zu haben, welche Kirchen, welche Arten von Kirchen abgerissen oder entwidmet werden, damit man von allen welche behält?
Ja, da gibt es eine intensive Debatte. Auch in den einzelnen Landeskirchen, die dafür zuständig sind, dass eine Balance bewahrt wird und nicht alles einfach abgerissen wird, bloß weil eine bestimmte moderne Bauform gerade unbeliebt ist. Das kann sich ja in den nächsten 20 Jahren auch wieder ändern. Zudem gibt es auch eine intensive Debatte über die Kirche hinaus. Wir sind ja nicht allein mit unseren Kirchen beschäftigt, es gibt ja den Denkmalschutz, Vertreter von Baukultur, Architekturgeschichte, Historiker, Stadtplaner, die mitreden. Zu Recht.

Sind alte Kirchen bei Besuchern nach wie vor beliebter?
Natürlich sind alte Kirchen, und dazu zählen auch die Kirchen des 19. Jahrhunderts, sehr beliebt, besonders bei denen, die nicht Architekturgeschichte studiert haben. Zugleich höre ich oft von Kolleginnen und Kollegen aus dem Gemeindedienst, die eine Kirche aus den 70er Jahren mit einem Gemeindezentrum haben, und eine Kathedrale, dass sie am liebsten die Kathedrale abgeben würden. Denn für die konkrete Arbeit sind die unscheinbareren Gebäude mit verschiedenen Räumen besser geeignet. Mal abgesehen vom Weihnachtsfest und der schönen Hochzeit lässt sich vieles andere eben praktischer im weniger schönen Gemeindezentrum gestalten.

Was baut Kirche gerade vorrangig?
Es wird durchaus hier und da noch eine Kirche gebaut. Aber das Interessante ist, was gebaut wird, wenn Kirchen abgerissen werden – mit und unter kirchlicher Trägerschaft und Verantwortung. Nämlich neue Wohnformen, Sozialbau, alles immer mit einem öffentlichen Aspekt oder neuen kleinen Andachtsräumen. Ein schönes Beispiel ist die Hauptkirche St. Trinitatis in Hamburg-Altona, wo drumherum das Trinitatis-Quartier entsteht, fast wie ein winziges Stadtviertel mit Kita, Behindertenwohngruppen, normalem Wohnen und einem Pilgerhotel.

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Wie sieht die Zukunft von Kirchenbauten aus?
Die Zukunft unserer Kirchenbauten, die ich mir erhoffe, besteht darin, dass sie intensiver mit anderen gemeinsam genutzt und verantwortet werden. Dass das Religiöse nicht alles ist, aber ein wesentlicher Bestandteil bleibt. Und dass sich unsere Kirchen zudem noch mehr zu dem entwickeln, was sie eigentlich schon immer sein sollten: Orte der Gemeinschaftlichkeit, Orte gegen Einsamkeit, Orte für Zusammenhalt. Das muss man in der explodierenden Spätmoderne neu buchstabieren, dann wird man auch dafür gute architektonische Lösungen finden. Die werden kleiner sein als früher, aber trotzdem reizvoll. Aber wichtig ist eben, dass vorher ein intensiver Austausch darüber stattfindet, was man eigentlich haben will.

Wie steht es um den Wow-Effekt? Kann man den heute reproduzieren oder ist er einfach den alten Kirchen vorbehalten?
Letzteres würde ich sagen. Diese Überwältigung ist in der heutigen Zeit nicht mehr unsere Rolle und Funktion.

Man setzt da heute eher auf Nachhaltigkeit…
Ja, auf Solar oder Holz, damit kann man gute Architekturen schaffen. Es gibt eine wunderbare Kirche aus gestampftem Lehm in Berlin in der Bernauer Straße. Das ist für mich ein Beispiel dafür, wie man klein, schön und nachhaltig bauen kann. Nachhaltigkeit, wenn man sie ernst nimmt, bietet immer auch eine neue ästhetische Möglichkeit.

Was ist ihr liebster Kirchentyp?
Also, meine Lieblingskirche ist die Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg. Sehr faszinierend finde ich immer noch die Notkirchen, die Otto Bartning nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut hat. Da steckt so viel an Intelligenz und Zeitbewusstsein drin. Und es ist verrückt, dass diese Kirchen, die ja nur für eine Übergangszeit gebaut wurden, fast überall noch in Gebrauch sind und heiß und innig geliebt werden.