Heute ist vor allem davon die Rede, dass Kirchen nicht mehr benötigt und zunehmend umgenutzt werden. Baut die Kirche überhaupt noch?
Johann Claussen: Ja, Kirche baut noch. Aber es findet ein großer Transformationsprozess statt und der hat natürlich auch etwas mit Abbau und Rückbau zu tun. Es gibt zugleich viel Umbau, und das sind häufig architektonisch interessante und anspruchsvolle Projekte.
Inwiefern?
Das fängt damit an, wie man denkmalschutzgerecht in Dorfkirchen Toiletten und Teeküchen einbaut, damit dort Gemeinschaftsleben stattfinden kann, weil es die Kneipe nebenan nicht mehr gibt. Dann werden nämlich Dorfkirchen zu echten Dorfbegnungshäusern. Es sind häufig ganz einfache Maßnahmen. Oder es geht darum, Gemeinderäume in Kirchen einzubauen. Da passiert zurzeit sehr viel.
Und Neubauten?
Die gibt es durchaus auch. Vor allem dann, wenn mehrere Gemeinden sich zusammentun und dann feststellen, dass alle ihre Kirchen aus den frühen 60er Jahren stammen und eigentlich nicht zu retten sind, weil sie einfach das Ende ihrer Lebenszeit erreicht haben. Und dann bauen sie gemeinsam neu.
Was ist beim Bauen wichtig?
Mir ist bei allen unterschiedlichen Formen des Bauens wichtig, dass wir nicht zu schnell bauen, sondern präzise mit den Menschen vor Ort klären, was denn eigentlich der Bedarf ist. Es gibt manchmal eine Flucht ins Bauen, auch ins Umbauen, wo man die Frage „Wozu ist ein Kirchengebäude eigentlich da?“ überspringt. Und dann kommen wunderbare Architekten, die einem sofort Pläne und verführerische Visualisierungen zeigen … Da sind wir gerade dabei, ein bisschen Bilanz zu ziehen und zu gucken, welche Um- und Neubauten sich bewährt haben. Das sind vor allem diejenigen, wo man mithilfe von Teilhabeverfahren gemeinsam herausgefunden hat, was benötigt wird.
Das heißt, Kirche guckt beim Bauen darauf, was die Gemeinde, was die Menschen brauchen. Spielen da auch soziologische Erkenntnisse und Veränderungen eine Rolle?
Ja. Es ist wichtig, nicht nur an die Kirchengemeinde im engeren Sinne zu denken, sondern auch an das soziale Umfeld. Und das ist eben je nach Ortsgröße und Gegend – Nord, Süd, Ost, West, Land oder Metropole – unterschiedlich, deshalb gibt es auch keine Einheitslösungen. Zugleich muss man aufpassen, dass man nicht theologischen oder architektonischen Moden folgt. Wenn man vorher Partizipation stattfinden lässt, dann verlangsamt das zwar den Prozess, führt aber am Ende zu den besseren Ergebnissen.
Wie werden Kirchen heute gebaut, und was ist der größte Unterschied zu klassischen Kirchen, wie wir sie kennen?
Bei den gelungenen Beispielen von Kirchenneubauten versucht man, zwei Pole miteinander zu verbinden. Bis zu den 1960ern gab es eine starke Orientierung an dem Gedanken, dass Gottesdiensträume sakrale Räume sein sollen, eine gewisse Aura haben sollen. Das ist schön und richtig, führt aber manchmal dazu, dass es keine Räume für Menschen sind. In den 1970er Jahren gab es dann eine radikale Abkehr davon, und man baute Gemeindezentren oder Kirchen, die zugänglich und praktisch waren, denen aber diese Aura fehlte. Im Grunde versucht man heute beides zu verbinden: eine gute Nutzbarkeit und eine besondere Atmosphäre.
Und gelingt es diese Aura zu schaffen?
Schon. Die letzten, die mir einfallen, haben bei aller Zugänglichkeit eine große Konzentration, fast schon Strenge. Sie arbeiten stark mit einer feinen Lichtführung – Bögen, Oberlicht, Seitenlicht –, um eine besondere Stimmung zu erzeugen.

