Esperanto – eine Sprache für die Welt

Nur 16 Grammatikregeln ohne Ausnahmen und keine unregelmäßigen Verben. Die Plansprache Esperanto wurde vor rund 135 Jahren erfunden. In Familie Weemeyers Leben hat sie sich durchgesetzt.

Esperanto Sprachkurs für Teilnehmer des 19. EsperantoLand-Neujahrstreffen in der Jugendherberge in Wiesbaden
Esperanto Sprachkurs für Teilnehmer des 19. EsperantoLand-Neujahrstreffen in der Jugendherberge in Wiesbadenepd-bild/Andrea Enderlein

Die beiden Kinder von Familie Weemeyer aus Hannover sind zweisprachig aufgewachsen. Das ist zwar nichts Ungewöhnliches, doch ein Detail hat es in sich: Denn der zehnjährige Anton und seine zwei Jahre jüngere Schwester Helena sprechen zu Hause mit ihren Eltern nicht nur Deutsch, sondern auch Esperanto – die vor rund 135 Jahren erfundene Plansprache, die Menschen weltweit eine einfache Verständigung ermöglichen soll. Damit haben die beiden beste Voraussetzungen, um Anfang Januar in der Wiesbadener Jugendherberge überall mitreden zu können: Zu einem Esperanto-Treffen für Familien sind mehr als 170 Teilnehmer aus ganz Europa nach Hessen gekommen.

„Wenn man mit Außenstehenden über Esperanto spricht, heißt es immer als erstes: Es hat sich ja nicht durchgesetzt“, seufzt Carolin Weemeyer, die Mutter der beiden. „Also, in meinem Leben hat es sich ziemlich durchgesetzt.“ Die Grundschullehrerin hat ihren Mann Robert einst bei einem Treffen von Esperanto-Freunden kennengelernt. Bei Reisen um die Welt, die sie schon bis nach Vietnam führten, kommen die Grundschullehrerin und der Landtagsstenograf häufig bei anderen Esperanto-Sprechern unter.

Daraus wuchs die Erkenntnis, dass auch die Kinder Esperanto beherrschen sollten. In Wiesbaden ist die Sprache beim Familientreffen überall zu hören: beim Smalltalk in den Fluren, in der Spiele-Ecke bei den Puzzles oder bei Vorträgen, die die angereisten „Esperantisten“ vorbereitet haben.

Der junge Augenarzt und Hobby-Linguist Ludwik L. Zamenhof (1859-1917) hatte im Sommer 1887 in Warschau unter dem Pseudonym „Dr. Esperanto“ („Doktor Hoffender“) seinen Entwurf für eine „Internationale Sprache“ veröffentlicht. Zamenhof wurde als Sohn jüdischer Eltern in Bialystok in Ost-Polen geboren, das damals zum Russischen Kaiserreich gehörte. In seiner Jugend erlebte er auf den Straßen seiner Heimatstadt ein Sprachenwirrwarr: Neben Jiddisch waren dort auch Russisch, Polnisch, Weißrussisch und Deutsch zu hören, wobei jede Volksgruppe mit Argwohn auf die anderen blickte.

Zamenhofs Idee einer einfach zu erlernenden Sprache für die Menschheit fand schnell auch in anderen Ländern Anhänger. Noch vor dem Ersten Weltkrieg gab es die ersten internationalen Esperanto-Kongresse, auf denen nicht nur die neue Sprache, sondern auch Gedanken von Frieden und Völkerverständigung propagiert wurden.

Als einzige einer Reihe weiterer Plansprachen hat Esperanto bis heute eine gewisse Relevanz behalten, auch wenn Ideen, sie zur Arbeitssprache der Vereinten Nationen oder der EU zu machen, keine Chance auf Erfolg hatten. Nach Schätzungen der internationalen Sprachen-Datenbank „Ethnologue“ gibt es weltweit bis zu zwei Millionen Menschen, die irgendwann einmal Esperanto gelernt haben.

In Konkurrenz zu Englisch

Die Vorstellung, dass es eine einfache Sprache gebe, die nicht mit einer konkreten Nation verbunden sei, habe ihm von Anfang an eingeleuchtet, sagt Louis von Wunsch-Rolshoven. Er ist Sprecher des Deutschen Esperanto-Bundes und Organisator des Wiesbadener Treffens. Zwar habe Englisch faktisch die Rolle der weltweiten Verkehrssprache übernommen, räumt der Berliner ein. Doch damit habe sich Esperanto noch lange nicht erledigt.

„Ein großer Teil der Menschen ist von der Kommunikation auf Englisch ausgeschlossen“, sagt er – insbesondere auch deshalb, weil die Sprache mit ihren komplexen Verbformen und der schwierigen Rechtschreibung letztlich viele überfordere. Esperanto lasse sich hingegen vier- bis fünfmal schneller erlernen: „Ich konnte mich nach 25 Zeitstunden einigermaßen verständigen.“

In ihrem Leben hat sich Esperanto durchgesetzt - Carolin und Robert Weemeyer aus Hannover
In ihrem Leben hat sich Esperanto durchgesetzt - Carolin und Robert Weemeyer aus Hannoverepd-bild/Andrea Enderlein

Tatsächlich fehlt Zamenhofs Plansprache alles, was Generationen von Schülern und Schülerinnen den Fremdsprachenunterricht vergraulte: Die 16 Esperanto-Regeln passen auf einen Bierdeckel. Es gibt nur regelmäßige Verben, keine grammatischen Geschlechter und mit Nominativ und Akkusativ nur zwei Fälle. Die rund 3.000 Wortstämme, aus denen alle anderen Esperanto-Worte abgeleitet werden, stammen überwiegend aus romanischen, germanischen und slawischen Sprachen. Mit „Bonan tagon“ wünscht man sich einen guten Tag, abends heißt es „bonan vesperon“.

Mittlerweile gibt es über 300.000 Wikipedia-Einträge in Esperanto, mehr als in Dänisch oder Bulgarisch. Es existieren Online-Lernportale und Musikvideos mit Esperanto-Pop. Dazu erscheinen jährlich neue Romane und Sachbücher in der Sprache.

Familie Weemeyer schätzt an der Esperanto-Welt den Austausch mit anderen, an Sprachen und Kulturen interessierten Menschen. Vor 20 Jahren hatte er die Sprache aus Neugierde gelernt, „weil ich die Idee ganz nett fand“, sagt Vater Robert. „Dabeigeblieben bin ich wegen der Leute, die ich kennengelernt habe.“