„Es gibt viele schmerzliche Momente“

Ende März verbreitet sich das Coronavirus in dem Heim für Demenzkranke. 48 Bewohner sterben, viele Beteiligte sind bis heute traumatisiert. Der WDR hat die Ereignisse nachgezeichnet.

Pflegerin Viktorija kümmert sich um Elfriede Reduhn
Pflegerin Viktorija kümmert sich um Elfriede ReduhnSonja Kättner-Neumann/Arnd Henze / WDR

Wolfsburg. Sechs Monate nach dem dramatischen Corona-Ausbruch im Wolfsburger Hanns-Lilje-Heim hat ein Filmteam des WDR eine Langzeitdokumentation über die Einrichtung abgedreht. Viele Beteiligte der Katastrophe seien noch immer traumatisiert, sagte der verantwortliche Redakteur Arnd Henze. Menschen verloren ihre Angehörigen, Pflegekräfte mussten hilflos mit anschauen, wie die ihnen anvertrauten Bewohner starben.

Das von der Diakonie betriebene Heim für hochbetagte, demenziell erkrankte Menschen war Ende März wegen zahlreicher Corona-Todesfälle in die Schlagzeilen geraten. Die Dokumentation, die Henze mit der Filmemacherin Sonja Kättner-Neumann gedreht hat, ist am Montag, 12. Oktober, um 23.35 Uhr in der ARD zu sehen. In der ARD-Mediathek ist der Film bereits abrufbar. „Wir haben noch nie einen Film gedreht, der uns so berührt hat“, sagte Henze. „Es gibt viele schmerzliche Momente.“

Unauflösbarer Widerspruch

So berichtet der Film etwa vom Besuch eines Mannes, der seine Ehefrau nach den Wochen der Isolation im Hanns-Lilje-Heim wiedersieht. 60 Jahre sind die beiden verheiratet. Doch die demenzkranke Frau erkennt ihn nicht. Er möchte seine Frau berühren. Aber das ist noch immer verboten. Die Szene zeige, dass es einen unauflösbaren Widerspruch gebe zwischen dem Schutz vor dem Virus und der Sehnsucht nach körperlicher Berührung, sagte Henze. „Wir haben dafür als Gesellschaft zurzeit keine Lösung.“

Im Wolfsburger Hanns-Lilje-Heim sind 48 Bewohner an einer Covid-19-Infektion gestorben
Im Wolfsburger Hanns-Lilje-Heim sind 48 Bewohner an einer Covid-19-Infektion gestorbenJoachim Thies / epd

Sechs Wochen haben die Filmemacher in dem Heim gedreht, in dem sich im Frühjahr von den insgesamt 165 Bewohnern 112 mit dem Coronavirus angesteckt hatten. 48 Pflegebedürftige starben an der Covid-19-Infektion. Die Redakteure rekonstruieren die tragischen Wochen vor Ostern. Sie begleiten Pflegekräfte in ihrem Schichtdienst. Sie sprechen mit Angehörigen von Verstorbenen und Überlebenden, befragen Ärzte, Heimleitung und den Wolfsburger Oberbürgermeister. Insgesamt 25 Stunden Rohmaterial drehten Henze und Kättner-Neumann.

„Uns war wichtig, ohne vorgefasste These in diese Recherche zu starten, sondern ergebnisoffen zuzuhören und Widersprüche zu akzeptieren“, sagt der Reporter: „Wir werten und urteilen nicht.“ Alle Beteiligten kämen zu Wort. „Jede Erfahrung hat ihre Berechtigung. Wir erzählen die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, so dass sich ein großes Puzzle zusammensetzt.“

Als Horrorheim am Pranger

Henze lobte die Offenheit, mit der ihm und seinen Kollegen in der Wolfsburger Einrichtung begegnet worden sei. Dies sei umso bemerkenswerter, weil das Hanns-Lilje-Heim immer wieder in der Öffentlichkeit als Horrorheim am Pranger gestanden habe und Pflegekräfte in Nachbarschaft und sozialen Medien angegriffen und stigmatisiert worden seien. Bereits Wochen vor Drehbeginn hatten sich die Redakteure an die Diakonie, an Pfleger und Angehörige gewandt, um ihr Vorhaben vorzubereiten und zu erklären.

„Ich freue mich sehr über den Vertrauensvorschuss“, sagte Henze. „Vier Monate nach der Katastrophe sind die Beteiligten noch immer nicht gehört worden. Ich denke, das ist ein großes Versäumnis.“ Das sieht auch Torsten Juch, Leiter des Hanns-Lilje-Heims, so. „Nach den ganzen negativen Schlagzeilen haben wir die Hoffnung, dass der Film versucht, zu verstehen und dem Bild des Horrorheims etwas entgegenzusetzen.“ (epd)

WAS: TV-Dokumentation „Ich weiß nicht mal, wie er starb“ über den Corona-Ausbruch im Wolfsburger Hanns-Lilje-Heim
WANN: Montag, 12. Oktober, um 23.35 Uhr
WO: in der ARD und in der ARD-Mediathek