Ertappt!
Über Beurteilungen nach dem Äußeren schreibt Michael Brems. Er ist Pastor für Krankenhausseelsorge in der Nordkirche.
Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr Sünde.“ aus Jakobus 2, 1-13
Ich stelle mir Jakobus als einen anstrengenden Zeitgenossen vor. Er weiß in jeder Situation genau, was gut und was Sünde ist. Er kennt Richtig und Falsch und redet jeden Zweifel darüber schlecht. Grautöne gibt’s bei ihm nicht. Die Reichen erwartet das Gericht, die Armen haben Gott alle lieb. So einfach ist das für Jakobus.
Lebte er heute, wäre seine CO2-Bilanz vorbildlich, immer wohnte ein Flüchtling mit in seiner Wohnung, ein dicker Stapel Spendenbescheinigungen wäre Teil seiner Steuererklärung, er ginge auf die richtigen Demos, äße mindestens vegetarisch und verzichtete auf jeden Luxus. Seine Gesichtszüge wären streng.
Ach, ich würde ihn gern mal verführen: zu einem rauschenden Fest mit Freunden, zu einem faulen Sonntag oder zu einer Reise auf die Kanaren: dazu, öfter mal Fünfe gerade sein zu lassen. Ja, seine Rechthaberei nervt.
Aber – um ehrlich zu sein – die andere Hälfte meines Herzens gibt ihm recht.
Zum einen habe auch ich mich blenden lassen vom Ansehen der Person, vom ersten Blick auf Jakobus. Und ich habe mich über ihn gestellt: Ich sei der, der Grautöne sieht und „weiß“, dass es mehr gibt als Schwarz und Weiß; Jakobus aber sei ein Rechthaber, Besserwisser und Moralapostel! Ertappt! Ich bin auch nicht besser. Ich habe nach dem Äußeren gerichtet. Ich habe mir nicht die Zeit genommen, genauer hinzuschauen und Jakobus und seine Leidenschaft zu verstehen.
Denn zum anderen: Jakobus hat etwas, wofür sein Herz brennt und wofür er geradesteht. Teure Designklamotten und Medienpräsenz beeindrucken ihn nicht. Er kämpft für gerechte Zustände: nicht nur klug reden, sondern was tun! Hintern hochkriegen! Sich engagieren! Glaube ohne Werke ist tot! Und wer nur auf das Äußere sieht, sieht das Wesentliche nicht.
Wo lasse ich mich blenden? Und wo brennt mein Herz? Wofür setze ich mich ein? Welche Werte sind mir so wichtig, dass ich nicht mehr diskutiere, sondern eindeutig Position beziehe?
Plato hat einmal gesagt: Sei barmherzig mit allen Menschen. Jeder, den du triffst, kämpft einen großen Kampf.
Unser Autor
Pastor Michael Brems koordiniert die Krankenhausseelsorge in der Nordkirche.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.