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Erntedank: Vom Glück des Habens und der Verantwortung des Teilens

Die Apfelernte fällt in diesem Jahr sehr gut aus – auch im heimischen Garten. Zu Erntedank fragt Pfarrerin Dorotheé Offermann: Wie viel ist genug – und wann wird genug gerecht verteilt?

Der Apfel gehört zu den beliebtesten Früchten in Deutschland
Der Apfel gehört zu den beliebtesten Früchten in DeutschlandImago / Redeleit

Mein Apfelbaum ist in Höchstform. Was der dieses Jahr leistet, ist ­beeindruckend! Kilo um Kilo Äpfel bringe ich in die Mosterei. Es ist so viel. Die Nachbarn, die Freunde, alle erzählen das Gleiche: Dieses Jahr haben wir fast zu viel. Fast. Denn letztes Jahr gab es ja wegen Frost annähernd gar keine Ernte in unseren Gärten. Auch nicht gut. Wann sind wir eigentlich zufrieden? Wann stimmt das Maß? Es macht mich ratlos.

An unserem Küchentisch klebt ein Zettel mit einem Lied an der Wand. Den haben meine Kinder im vergangenen Jahr vom Erntedankfest aus der Christenlehre mit­gebracht: „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt“ (Text: Wilhelm Willms, Musik: Peter Janssens). Ich liebe diesen Gedanken. Das kann ja schließlich nicht so schwer sein. Ich hab doch so viele Äpfel. Da kann ich doch was ab­geben. Aber wie bekomme ich die vielen Äpfel in den Sudan? Dort ­haben die Menschen schließlich Hunger.

Sattsein auf Vorrat

Es fällt mir nicht schwer, von meinem Überfluss abzugeben. Aber im Sudan, im Jemen oder in Gaza brauchen die Menschen meine nach der langen Reise vermutlich vergammelten Äpfel nicht. Sie benötigen Grundnahrungsmittel, medizinische Versorgung, Frieden, psychologische Betreuung, Zelte, eine Zukunft. Ach, es ist so viel Not auf der Welt. Da könnten die „wirklich Reichen“ doch echt mal was abgeben. Es hilft mir, mich über deren Egoismus aufzuregen. Dann kann ich besser davon ablenken, dass ich ein schlechtes Gewissen habe. Schließlich könnte ich ja auch von dem etwas geben, das ich habe und nicht nur von dem, wovon ich gerade im Überfluss habe und es gerne los wäre.

Die Sache mit der Verteilung ist schwierig. Und ich frage mich ­immer wieder, warum wir das auf der Welt so schlecht hinbekommen. „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt“. Aber wann sind wir denn satt? Meine Kinder sind es frühestens nach der dritten Kugel Eis. Der Hamster schiebt sich so viel in die Backen, dass es auch noch für morgen und übermorgen reicht. Sattsein auf Vorrat sozusagen.

Für die Mutter im Flüchtlings­lager ist Sattsein wahrscheinlich erst dann möglich, wenn die Reis­ration für die Kinder ausgereicht hat. Und wir? Wir machen es gerne wie der Hamster: Wir legen Vorräte für schlechte Zeiten an.

Dabei gäbe es so viel zu teilen. Auch bei uns. So manch eine, die im Neubaugebiet in der Zweizimmerwohnung lebt, würde sich über Pflaumen oder Äpfel freuen, die der andere im Garten hat. Obst und Gemüse müssen nicht erst den Ozean überqueren, um andere Menschen zu unterstützen.

Dass das Thema eine globale Komponente hat und wir häufig auf Kosten anderer unsere Ernte einfahren, ist mir dabei bewusst. Aber das lässt uns eben auch oft ohnmächtig oder überfordert zurück. Da wäre es doch gut, wir könnten unseren Beitrag auch hier in unserer Heimat leisten. Eine Möglichkeit ist das gelbe Band.

Gelbes Band am Obstbaum: Hier darf jede und jeder etwas mitnehmen

Wer ein gelbes Band an seinem zugänglichen Obstbaum anbringt, der ­signalisiert damit, dass andere kostenlos und ohne Rücksprache ernten dürfen. Ich möchte mehr gelbe Bänder sehen! Jeder kann mitmachen. Das wäre so ein ein­facher Weg, um den Überfluss zu teilen. Und wer keinen Obstbaum hat, der hat bestimmt etwas anderes, um das er ein gelbes Band binden kann: Hast Du Zeit? Teil sie. Hast Du Geduld? Teil sie. Hast Du Kraft? Teil sie.

Meine Gedanken gehen zurück zum Anfang. „Wenn jeder gibt, was er hat, dann werden alle satt“. Wir haben ja nicht einfach so. Wir haben, weil einer gibt. Wir haben, weil wir Beschenkte sind. Ernte ist ein Geschenk. Vor allem. Aber nicht ganz. Denn schließlich muss ja auch jemand säen, gießen und dann eben auch ernten. Ja, ich denke, bei jeder Ernte dürfen wir uns auch ein bisschen selber auf die Schulter klopfen. Beim Schulabschluss der Kinder genauso wie bei der schweißtreibenden Johannisbeerernte.

 

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Aber Ernte ist eben immer so viel mehr. Sie beinhaltet Dank. Sie teilt sich aus, denn sie ist ein Geschenk. Sie bittet um gute Ernte auch im nächsten Jahr. Ernte kann anstrengend sein, weil sie Kraft kostet. Sie kann unbefriedigend sein. Oder sie kann ein Geduldsspiel sein, weil es so lange dauert, bis etwas wächst.

Leider macht Ernte nicht immer satt. Darum ist es so wichtig, zu teilen. Ernte und Teilen sind nach meiner Ansicht untrennbar mit­einander verbunden. Darum wünsche ich mir, dass in unserer Gesellschaft mehr auf die gerechte Verteilung geachtet wird. Dann werden vielleicht nicht alle, aber mehr Menschen satt.

Dorotheé Offermann ist Pfarrerin der Trinitatiskirchen­gemeinde Finsterwalde im südlichen Brandenburg.