Erklärung für Erschöpfung
Der Psychiater Andreas Hillert stellt fest: Burn-out setzt voraus, dass man Zeit hat, seine Befindlichkeiten zu reflektieren
Mit dem Begriff „Burn-out“ ist nach Ansicht des Psychiaters Andreas Hillert eine „Quadratur des Kreises“ gelungen. In einer Gesellschaft, in der seelische Erkrankungen oft noch tabuisiert würden, könnten sich Menschen wegen psychischer Beschwerden krankschreiben lassen, ohne sich als psychisch krank definieren zu müssen, sagte der Chefarzt für Psychiatrie, Psychotherapie und psychotherapeutische Medizin an der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. Burn-out werde damit für viele zu einem „persönlichen wie sozialen Rettungsanker“.
Krank – aber nicht psychisch krank
Tatsächlich erzeuge die „beschleunigende Gesellschaft“ für viele Menschen anhaltenden Stress. Die „digitale Informationsflut“ mit E-Mails, Smartphone und ständiger Erreichbarkeit führe dazu, dass sich immer mehr Arbeitnehmer überfordert, überlastet und erschöpft fühlten. Viele Menschen könnten sich mit dem Bild des „Ausgebranntseins“ identifizieren. Bei starker Belastung in Beruf und Familie lasse sich damit ein bedrohtes Selbstwertgefühl stabilisieren („Ich habe eben zu viel gegeben“).
Burn-out ist Hillert zufolge keine Erkrankung, sondern „ein subjektives Erklärungsmodell für Erschöpfung“. Ein guter Therapeut hole die Patienten dann dort ab, wo sie stehen. „In diesem Fall also bei deren jeweiligen, subjektivem Burn-out-Verständnis.“ Dann werde nach den Symptomen, den Belastungen in Beruf und Familie gefragt. Burn-out-Patienten litten häufig unter Mut- und Antriebslosigkeit, schliefen schlecht und empfänden oft ein Gefühl der Leere.
Ein Burn-out tritt nach Angaben Hillerts bei Männern und Frauen gleichermaßen auf. Ein durchgehender Befund sei aber, dass jüngere Menschen sich öfter ausgebrannt fühlten. „Das spricht dagegen, dass Burn-out eine Folge langfristiger Überarbeitung ist“, sagt Hillert. Ältere Generationen würden eher dazu erzogen, zu funktionieren und weniger auf sich zu achten.
Im Krieg verschwand das Krankheitsbild
Der Facharzt weist weiter darauf hin, dass der Begriff 1974 von dem in New York tätigen Psychoanalytiker Herbert Freudenberger geprägt worden ist. Der Burn-out habe zudem einen Vorläufer. „Ende des 19. Jahrhunderts wurde bei Angehörigen der Ober- und Mittelschicht oft die Diagnose ‚Neurasthenie‘ gestellt“, erklärte Hillert. Die Nerven der Patienten seien durch den schnellen technischen und wirtschaftlichen Fortschritt mit Dampfmaschine, Eisenbahn und Stromnetzen für alle überfordert gewesen. Im Ersten Weltkrieg verschwand das Krankheitsbild. Für Hillert ist das ein Hinweis darauf, dass für solche Zivilisationskrankheiten in Perioden großer Unsicherheit schlicht kein Platz sei. „Man muss Zeit dafür haben, seine Befindlichkeiten zu reflektieren“, sagt er.