Erinnerung an Holocaust-Opfer – Rufe nach neuen Gedenkformaten

Sechs Millionen Juden haben die Nazis auf dem Gewissen. Am 27. Januar wird weltweit der Toten gedacht. In diesen Tagen warnen viele Menschen auch vor heutigem Antisemitismus – und fordern neue Formen des Erinnerns.

Am Internationalen Holocaust-Gedenktag am Samstag hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Engagement aller Menschen für die Demokratie aufgerufen. „Nie wieder“ richte sich nicht nur an den Staat, sondern fordere die Wachsamkeit aller, sagte der Kanzler in seiner wöchentlichen Kolumne „Kanzler kompakt“. Es dürfe „nie wieder Ausgrenzung und Entrechtung, nie wieder Rassenideologie und Entmenschlichung, nie wieder Diktatur“ geben, sagte Scholz und erinnerte an alle Verfolgten unter dem NS-Regime.

Scholz verwies auf Rechtspopulisten, die Zulauf erhielten und Angst schürten. Dieser Entwicklung könne man sich auch entgegenstellen. Dies zeigten die derzeit stattfindenden großen Demonstrationen gegen Rechts.

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer mahnte ein breiteres Engagement gegen Rechtsextremismus an. Sie sei dankbar für die jüngsten Demos, sagte sie den ARD-Tagesthemen am Freitag. „Aber es werden immer die sein, die sowieso für uns sind. Ich finde, dass mehr laut sein sollten, ich finde, dass zu wenige ihre Meinung sagen.“

Jeweils am 27. Januar wird weltweit der Opfer des Holocaust gedacht. Das Datum erinnert an die Befreiung der überlebenden Häftlinge des größten NS-Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945. Mit Veranstaltungen sowie Aktionen im Internet wird daran erinnert. Für Mittwoch ist im Bundestag eine Gedenkstunde für die Opfer der Nationalsozialisten geplant.

Der Historiker Michael Wolffsohn schreibt in seinem am Samstag erschienenen Buch „Nie wieder? Schon wieder! Alter und neuer Antisemitismus“, dass der Staat und nicht seine Bürger in der Pflicht seien, die Sicherheit aller Menschen zu gewährleisten. „Zweifel an der Schutzwilligkeit des deutschen Staates bestehen nicht, wohl aber an seiner Schutzfähigkeit.“ Dies sei ein westeuropäisches Problem.

Der Historiker warnt, den Antisemitismus jenseits des rechtsextremen Spektrums zu übersehen. Auch die „extremistische Linke einschließlich ihrer linksliberalen, kulturbürgerlichen Legitimatoren“ sowie islamische Fundamentalisten gefährdeten Jüdinnen und Juden und „alle aufgeklärten Bürger Europas“.

Mit Blick auf die schwindende Zahl an Zeitzeugen werden schon lange Rufe laut nach neuen Formen des Erinnerns. Der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Aus meiner Sicht liegt hier bei den Gedenkstätten eine ganz besondere Verantwortung: Sie sollten digitaler und auch mobiler werden, um gerade junge Menschen da ‚abzuholen‘, wo sie sich gerne aufhalten.“

Auch der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, unterstrich die Rolle innovativer Formate gerade für die Auseinandersetzung junger Menschen mit dem Thema. Zugleich mahnte er einen vorsichtigen Umgang mit Künstlicher Intelligenz und Virtual Reality an.

Wolffsohn kritisiert insgesamt Formen des Gedenkens als „vollkommen versteint und persönlich unbetroffen“ und moniert Rituale und Plattitüden.

Berlins katholischer Erzbischof Heiner Koch rief zum engagierten Eintreten gegen Ausgrenzung und rechtsextremes Gedankengut auf. „Bei Gesprächen im Familien- und Bekanntenkreis – an unserer Arbeitsstelle – in unserer Gemeinde – im öffentlichen Raum sollten wir unseren Widerstand gegen unmenschliches Denken unmissverständlich deutlich machen“, sagte Koch im RBB-Radio.

Es mache ihn fassungslos, dass die sogenannte Neue Rechte jetzt wieder Konzepte zur massenweisen Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund entwickele und dies zynisch als „Remigration“ bezeichne.