Emanuel Bergmanns “Tahara”: Roman vor der Filmkulisse von Cannes

Bald werden wieder internationale Kinostars über die berühmte Croisette in Cannes flanieren. Das Festival bildet die Kulisse für Emanuel Bergmanns zweiten Roman “Tahara”. Erneut spielt seine jüdische Herkunft eine Rolle.

“An einem sonnigen Morgen im Mai landete Marcel Klein, der berüchtigte Filmkritiker, am Flughafen von Nizza.” So wirft Emanuel Bergmann das Lesepublikum in seinen zweiten Roman “Tahara”. Vor der Glamourkulisse der Internationalen Filmfestspiele von Cannes lernt es den “Großen Klein” kennen, der sich selbst Stil attestiert, während sein Haarwuchs ab- und seine Taille zunimmt. Tissot-Armbanduhr, Ray-Ban-Sonnenbrille, Montblanc-Füller: alles mehr Schein als Sein. Zugleich rast auf “Mister Hollywood” ein Sturm zu, “der sein Leben bald in Schutt und Asche legen sollte”.

Zunächst scheint dies in Gestalt der geheimnisvollen Heloise zu geschehen, die selbst der Leinwand entstiegen sein könnte. Doch während Klein hartnäckig um sie wirbt, wird er von eigenen Dämonen eingeholt. Denn der “Strahlemann, Bonvivant, Insider” hat ein ganz spezielles Verhältnis zur Wahrheit. Als ihm die Redaktion seines Filmmagazins auf die Schliche kommt, flieht er mit Heloise filmreif aus Cannes in ein nahegelegenes Dorf.

Temporeich schildert Emanuel Bergmann ein Milieu, das er gut kennt: Der 1972 in Saarbrücken geborene Autor war selbst 18 Jahre lang Filmjournalist, parliert von One-on-Ones und Round-Table-Interviews (Einzel- und Gruppengespräche), Screenings (Filmpremieren), Red Carpets, Cocktailempfängen und After-Show-Parties. Das macht Spaß und beschwört Bilder von schönen Kinomenschen an südfranzösischen Frühsommerabenden herauf. Doch der Roman bietet mehr als eine Liebesgeschichte zweier Gescheiterter vor glamouröser Kulisse.

Der “Große Klein” hat “überall Baustellen”: geplatzte Berufsträume als Schauspieler, kaputte Beziehungen, Schulden. Nach und nach bekennt Klein, dass er, der für seine “einfühlsamen und witzigen Interviews” mit den Stars in Cannes, Berlin, Venedig und Hollywood berühmt ist, “hie und da ein paar Aussagen… nachgebessert” habe. “Aber nur, damit die Gesprächspartner nicht total bekloppt wirkten. War das so falsch?”, fragt er zunächst wenig selbstkritisch.

“Er hatte im Grunde nichts anderes getan, als diesem kranken, korrupten System einen Spiegel vorzuhalten. Er war kein Betrüger, sondern ein Satiriker, der die unechte Scheinwelt zu enttarnen suchte”, so seine Selbstrechtfertigung. Mit einer hochgelobten Reportage über den Tod seines Vaters hatte er die “kleinen Flunkereien” jedoch auf die Spitze getrieben. Darin beschreibt Klein detailreich die titelgebende “Tahara”, das jüdische Ritual der Totenwäsche; aus eigener Anschauung – oder auch nicht. Geschickt verknüpft Autor Bergmann an dieser Stelle das tragische Schicksal der frommen Christin Heloise mit dem der Hauptfigur.

Wie in seinem in 17 Sprachen übersetzten Debütroman “Der Trick” (2016) greift Bergmann in “Tahara” immer wieder Motive seiner jüdischen Herkunft auf, unverkrampft, bar jeder Moralisierung und oft humorvoll. So bestellt Klein im Bistro ein Glas Rose und ein Baguette mit Schinken und Käse – “nicht koscher, aber vielleicht schaute Gott ausnahmsweise in die andere Richtung”.

Satirisch schildert der Autor die Umstände von Kleins Geburt. Als Kleins Mutter Miriam ungewollt schwanger wird, überzeugt sie ihren Partner mit einem einzigen Satz davon, dass sie das Kind bekommen sollten: “Weil jedes jüdische Baby ein Tritt in die Eier der Deutschen ist.”

Überhaupt lässt sich Bergmanns Roman auch als Satire auf die Scheinwelt des Kinos, als Geschichte einer Amour Fou oder als Roadmovie lesen. Sehr nachdenklich stimmen indes die Reflexionen über Kleins “Flunkereien”, erinnern sie doch an bekannte Journalisten wie Tom Kummer oder Claas Relotius, die Reportagen und Interviews fälschten; kein Ruhmesblatt für ihre Zunft.

Bergmanns Roman-Plot ist jedoch rein fiktiv, wie er im Interview der “Jüdischen Allgemeinen” sagte. “Tahara” sei ein “außerordentlich spirituelles, fast religiöses Buch”, weil es “um einen profanen, gottesfernen Menschen geht, der sich in einer Krise mit Fragen der Transzendenz und der tieferen Bedeutung des Lebens auseinandersetzen muss”, so der Autor. Durch die Liebe werde Klein mit Gott konfrontiert und nehme selbst eine “rituelle Waschung” vor. “Ich will nicht so weit gehen zu sagen, dass er zu seinen Wurzeln und zu seinem Glauben findet”, so Bergmann. “Aber er wird zumindest dieser Fragen gewahr.”

Tatsächlich ist sich Marcel Klein am Ende nicht mehr sicher, “ob er überhaupt noch einen wahrhaftigen Kern” hat und verlangt nach Vergebung: “Ich wollte die Welt doch nur ein bisschen besser machen.”