Eltern mit Demenz: Was Pfarrer Lohenner erlebte
Matthias Lohenner spricht im Interview über die Erfahrungen, die er in der Begleitung seiner Eltern gemacht hat. In seinem Buch „Wo kommst du denn her?“ hat er diese niedergeschrieben.
Viele Menschen haben Angst, an Demenz zu erkranken, oder fürchten, dass ihre Liebsten dement werden könnten. Wie viel Zuwendung ist in einer Lebensphase mit diesen Einschränkungen möglich?
Matthias Lohenner: Es gibt ja nicht die Demenz. Das habe ich bei meinen Eltern erlebt, deren Erkrankung sich sehr unterschiedlich ausgewirkt hat. Und ich kenne Menschen, bei denen sich demenzielle Veränderungen wiederum ganz anders gezeigt haben. Gemeinsam dürfte vielen Situationen sein, dass ein Mensch sich sehr verändert. Das ist für andere, die diesem Menschen emotional verbunden sind, eine extreme Herausforderung. Weil Zuwendung zu dem Menschen, der jetzt ist, den Abschied von dem Menschen voraussetzt, der war. In aller Veränderung diejenigen zu entdecken, die ich geliebt habe und immer noch lieben kann, habe ich als Geschenk erfahren.
Als Theologe beschäftigen Sie sich in Ihrem Buch mit dem Sterbeprozess Ihrer Eltern als vorübergehenden, dann finalen „Seitenwechsel“. Wie haben Sie sich dem genähert?
Theologie ist für mich eine Erfahrungswissenschaft. Das theologische Nachdenken setzt die Wahrnehmung der Wirklichkeit voraus. Das war in der Begleitung meiner Eltern ein besonders intensiver Prozess, weil ich immer wieder dastand und nicht verstand, was mit ihnen passiert. Hinsehen, hinhören, sich einlassen auf die, die mir gerade wieder fremd geworden waren. Dabei war mir eine Hilfe, dass ich immer mit der Gegenwart von so etwas wie Ewigkeit rechne. Jene andere Welt ist auch jetzt. Nur vor diesem Hintergrund konnte ich die Idee entwickeln, dass meine Eltern schon jetzt in jene andere Welt ein-, aber auch wieder aus ihr auftauchen konnten. Das hatte mich schon total verblüfft: Kann es wirklich sein, dass Menschen vorübergehend in die Ewigkeit verschwinden?
Der Alltag mit demenziell erkrankten Menschen ist eine große Herausforderung. Was kann Familien stärken, was gibt ihnen Trost?
Trost ist so unterschiedlich wie die Demenz-Situationen selbst. Für mich war das einmal, zu sehen, dass es den beiden subjektiv gut ging – trotz Bettlägerigkeit beispielsweise. Ich konnte es kaum glauben, dass mein Vater das jahrelang aushielt. Meine Vorstellung von einem guten Leben wurde völlig außer Kraft gesetzt. Und dass sie – zumindest meine Mutter – mit einer erstaunlichen Gewissheit auf etwas Schönes zuging, das auf sie wartete. Ob das für andere ein Trost sein kann? Jedenfalls haben einige, die meine Eltern über das Buch kennengelernt haben, das als tröstlich empfunden.