El Salvadors Sicherheitspolitik bleibt umstritten

Auf den Straßen El Salvadors ist es sicherer geworden, seit während eines verhängten Ausnahmezustands mehr als 80.000 Personen verhaftet wurden. Doch das drastische Vorgehen der Regierung weckt Erinnerungen und Ängste.

In El Salvador hat die katholische Kirche im Bistum Chalatenango zu einem besonderen Treffen eingeladen – ohne Namen und ohne Fotos. Ein Mann, der in einem der Gefängnisse des Landes saß und inzwischen freigelassen wurde, spricht von einem “Inferno”. Die Mutter eines anderen Insassen kann ihre Tränen nicht zurückhalten. Zu bedrückend sind die Gedanken an das, was ihr Sohn in der Haft durchmachen muss.

Der Gastgeber des Treffens, Bischof Oswaldo Estefano Escobar Aguilar, hält sich mit öffentlichen Kommentaren zurück. “Die Situation ist sehr heikel”, sagt er knapp. Gekommen sind mehrere Betroffene, die einen Angehörigen haben, der während des Ausnahmezustands in El Salvador verhaftet wurde. Die Kirche ist für sie die einzige Anlaufstelle.

Seit Beginn des im März 2022 verhängten Ausnahmezustands wurden laut offiziellen Angaben mehr als 82.000 Menschen verhaftet. Anlass war ein blutiger Samstag mit 62 Getöteten. Danach griff Präsident Nayib Bukele knallhart durch. Die Inhaftierten sollen Mitglieder der gefürchteten Mara-Gangs sein, die in Zentralamerika Angst und Terror verbreiten. Sie finanzieren sich durch Schutzgelderpressungen, Zwangsprostitution, Drogenhandel. Vor allem aber terrorisierten sie die Bevölkerung – kleine Ladenbesitzer ebenso wie die Nachbarn im eigenen Viertel.

Inzwischen hat sich das Land verändert. “Die Sicherheitslage hat sich tatsächlich verbessert. Man kann nun in Viertel gehen, die bislang als No-go-Areas galten”, sagt Ines Klissenbauer, Mittelamerika-Expertin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. “Gleichzeitig gibt es eine massive Einschränkung der Grundrechte. Dass es viele Unschuldige gibt, die im Gefängnis sitzen, liegt daran, dass die Polizei offenbar gewisse Verhaftungsquoten erfüllen muss.”

Bei den Zugriffen umstellen die Sicherheitskräfte mitunter ganze Dörfer und Städte. Wer dann zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann für Monate von der Bildfläche verschwinden – ohne Besuch der verzweifelten Familie, ohne Anwalt. Besonders betroffen sind junge Männer aus der Landbevölkerung. Deren Familien haben kaum Geld für Anwälte. Letzter Rettungsanker ist die Kirche mit Vertretern wie Bischof Escobar und seinen Juristen der Diözese Chalatenango. Adveniat unterstützt das Helferteam der Kirche.

Trotzdem bleibt Präsident Bukele populär. Mit mehr als 80 Prozent wurde er im Februar wiedergewählt. Verfassungswidrig, wie Kritiker sagen, weil es in der Verfassung eine Amtszeitbegrenzung gab. Eine erneute Kandidatur war eigentlich unmöglich. Doch Bukele tauschte das Personal des Obersten Gerichts aus, und plötzlich war der Weg frei für eine erneute Bewerbung ums höchste Staatsamt. Den Großteil der Bevölkerung stört das nicht. Die meisten Salvadorianer fühlen sich befreit vom Terror und der Angst vor den gefürchteten Mara-Gangs. Sie verehren ihren Präsidenten geradezu.

Nun aber breitet sich allmählich eine neue Furcht aus. Davor, dass Bukele seine ohnehin schon große Macht weiter ausbauen könnte. Er kontrolliert – demokratisch legitimiert – alle Institutionen, Widerspruch kann die eigene Karriere gefährden. Bei Regierungskritikern aus den Gewerkschaften, bei Umweltschutz- und Menschenrechtsbewegungen geht die Angst um. Sie befürchten, dass auch sie ohne Haftbefehl – das machte der Ausnahmezustand möglich – ins Gefängnis gesteckt werden können.

Neu ist eine solche Situation in El Salvador nicht. “Ich habe selbst erlebt, dass junge Menschen unschuldig verhaftet wurden”, sagt Kardinal Gregorio Rosa Chavez. Er hat den Mord an Erzbischof Oscar Romero 1980 aus nächster Nähe mitbekommen. Ebenso die blutigen Gemetzel des Bürgerkriegs (1980-1992) an Campesinos und Indigenen. Deswegen ist er besonders sensibel, wenn wieder so viele Menschen in Haft genommen werden, etliche davon zu Unrecht.

Auch der Kardinal will sich dafür einsetzen, die Situation der Betroffenen zu verbessern. Er berichtet von einer Initiative zum Aufbau einer größeren Anwaltsgruppe, die sich mit einschlägigen Fällen befassen soll. Die Regierung müsse akzeptieren, dass die Fallakten von den Verteidigern eingesehen werden. “Und wenn die Inhaftierten tatsächlich unschuldig sind, müssen sie freigelassen werden”, fordert Rosa Chavez.