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Einklang im Vielklang

Über den Predigttext zum Sonntag Kantate: 2. Chronik 5, 2-5 (6-11) 12-15

Stephan Wallocha

Predigttext
2 Da versammelte Salomo alle Ältesten Israels, alle Häupter der Stämme und die Fürsten der Sippen Israels in Jerusalem, damit sie die Lade des Bundes des Herrn hinaufbrächten aus der Stadt Davids, das ist Zion. (…) 4 Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten hoben die Lade auf 5 und brachten sie hinauf samt der Stiftshütte und allem heiligen Gerät, das in der Stiftshütte war; es brachten sie hinauf die Priester und Leviten. (…) 12 Und alle Leviten, die Sänger waren, nämlich Asaf, Heman und Jedutun und ihre Söhne und Brüder, angetan mit feiner Leinwand, standen östlich vom Altar mit Zimbeln, Psaltern und Harfen und bei ihnen hundertzwanzig Priester, die mit Trompeten bliesen. 13 Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn. Und als sich die Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte: „Er ist gütig, und seine Barmherzigkeit währt ewig“, da wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke, als das Haus des Herrn, 14 sodass die Priester nicht zum Dienst hinzutreten konnten wegen der Wolke; denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus Gottes.

 

Das Haus ist mit großem Aufwand errichtet, doch was jetzt gefordert ist, um es zum Tempel, zum Haus Gottes zu weihen, können weder Gold noch Silber noch andere Opfer leisten. Damit Gott selbst sein Haus in Besitz nehmen und einziehen soll, dazu bedarf es einer besonderen Beigabe, nämlich: Musik.
Sänger, in feinstes Tuch gewandet, dazu 120 (!) Priester, die mit Trompeten bliesen. Ich frage mich: Sind es tatsächlich Priester, die auf Instrumenten spielen? Oder kann nur Priester sein, wer auch Musik zu machen versteht? Oder sind es gar Menschen, die in dem Moment, in dem sie anfangen, Musik zu machen, zu Priestern werden?
Plötzlich geschieht Unglaubliches: Alle Sänger, Musiker und Priester, alle Frauen und Männer, all die vielen doch so unterschiedlichen Menschen heben ihre vielen nicht minder verschiedenen Instrumente und Stimmen – und was man hört, ist: ein Einklang. Keine Dissonanz, kein Durcheinander, sondern: Einklang.
Das ist etwas, das Menschen, die in der Kirche musizieren – Profis wie Amateure –, immer wieder erleben, in Konzerten, Gottesdiensten, Proben und auch ganz anderen, manchmal vollkommen unerwarteten Konstellationen, in denen Musik gemacht wird. Da ist in manchen gelingenden Augenblicken plötzlich etwas spürbar, eine unsichtbare Verbindung, ein Ereignis, ein unvergleichliches Geschehen. Nicht machbar, nicht greifbar, unverfügbar. Und doch spürbar. Für einen Augenblick.
In unseren Gemeinden kennen wir mitunter ganz andere Situationen. Da sind Menschen weit davon entfernt, in Einklang zu geraten. Populär oder klassisch, Orgel oder Band, Bläser oder Sänger: Aus scheinbar vordergründigen Fragen werden dann plötzlich Glaubensfragen. Sicher: Musik kann vereinen, aber: Sie kann noch leichter entzweien. Das ist in der Moderne – mit ihren immer feineren Ausdifferenzierungen der verschiedenen Milieus – sehr viel stärker ausgeprägt als zu Salomos Zeiten, doch: Auch in der beschriebenen Tempeleinweihung hört man nicht einfach einen Einklang, sondern man hört diese eine Stimme loben und danken dem Herrn.
­Das ist wohl der Schlüssel: Nur, wenn sich alle, die in der Kirche Musik machen, in dem Ziel ihres Tuns – nämlich: Gott loben und ihm danken – einig sind, dann kann aus einem Vielklang ein Einklang werden, aus manch klingender Dissonanz eine erlebte Harmonie.
Gefahr lauert dann, wenn die Musik einem anderen Zweck dienen soll: Wenn sie junge, kirchenferne, andere oder einfach nur: mehr Menschen in die Kirche locken soll. Wenn sie bestimmten Menschen und Gruppen eine Bühne bieten soll. Wenn jemand sie nutzt, um sich zu profilieren. Wenn sie Stille und Leere übertönen soll, ganz egal wie. Wenn sie nicht das Lob Gottes als Ziel hat, sondern das der Menschen.
Und Misstrauen ist angebracht, wenn versucht wird, den Nutzen von Musik in eine andere Währung umzurechnen: In Anzahl Euro, Zuhörerinnen und Zuhörer, Mitwirkende. Da wird das, was Musik sagen und bewirken kann, ignoriert, banalisiert. Und das wäre mehr als fahrlässig, denn: Musik kann mehr!
Als Musik und Lob ertönen, wird Salomos Bau von der Herrlichkeit des Herrn erfüllt. Erst mit der Musik nimmt Gott seinen Tempel in Besitz und zieht ein. So spürbar und greifbar, dass nicht einmal die Priester – oder sind es die Musiker? –
näher hinzutreten können.
Hier ist die beglückende Erfahrung beschrieben, dass sich die Nähe Gottes in einem Augenblick offenbaren kann. Und dass alle die, die zum Lob Gottes musizieren, der Herrlichkeit des Herrn den Weg bahnen können. Das ist nicht wenig.