Eine Heimat für die Seele

Über einen Kirchenbesucher und seinen Glauben schreibt Pastor Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Kirchenzeitung in Schwerin.

Alle eure Sorgen werft auf ihn, denn er sorgt für euch. Aus 1. Petrus 5, 5c-11
Gern schaut er sich im Urlaub Gotteshäuser an, erzählt mir der ältere Mann, nachdem er sich unsere Kirche hat zeigen lassen. Getauft sei er und sogar noch konfirmiert, erklärt er mir, obwohl ich ihn gar nicht danach gefragt habe. Und an die Jungschar, da hat er tolle Erinnerungen – an die Rüstzeiten am See mit Lagerfeuer und Liedern und Gemeinschaft. „Aber dann, na Sie wissen ja, wie das war damals in der DDR”, sagt er, und in seiner Stimme klingt Trotz und auch Wehmut und Sehnsucht. Da war die Fachschule und dann war ich Abteilungsleiter, und die Kinder dann sollten es nicht so schwer haben im Leben.”
Wie sie sich ähneln, diese Gespräche, bei denen immer die fordernde Bitte nach Verständnis, nach Absolution mitschwingt. Was sagt man nur darauf? Dass es andere gab, die sich trotzdem als Christen bekannt haben? Dass ihm der Glaube vielleicht doch nicht so ein fester Halt war, wie es das Wort „konfirmiert”, also „befestigt”, eigentlich nahelegt?
Ich frage ihn statt dessen lieber, ob er denn seit der Wende wieder Kontakt zu einer Kirchengemeinde gefunden hat. Heiligabend, klar, da geht er mit der Familie in die Christvesper, sagt er. Aber als Selbstständiger hat er nun einmal kaum Zeit – und irgendwie ist ihm das alles auch mit den Jahren fremd geworden. Nein, wieder eingetreten ist er nicht…
Er geht, und ich hätte das Gespräch schon längst vergessen, wenn da nicht diese Sehnsucht in seinen Augen gewesen wäre. Und ich muss an die Begegnungen mit so vielen anderen denken, die mit sich die Wehmut nach einer verlorenen Heimat für die Seele herumtragen. Die nicht wissen, wohin mit all ihren Ängsten. Nein, das ist kein Sonderfall von DDR-Biographien. Ähnliche Gespräche, wenn auch unter anderem Vorzeichen, gibt es ebenso mit gebürtigen Westdeutschen. Auch da gibt es so viel, das von dem einstigen Kinderglauben trennt, nicht nur Opportunismus und die Sorge um den Wohlstand.
Ihnen allen gilt der Satz, den der Verfasser des 1. Petrusbriefes an Christen schreibt, die in einer ihnen feindlich gesinnten Umwelt leben: Alle eure Sorgen werft auf ihn … Was für ein Satz. Was für eine Aufgabe, dies weiterzusagen..
Unser Autor
Pastor Tilman Baier
ist Chefredakteur der Kirchenzeitung in Schwerin.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.