Eine Gemeinde verbrennt Beichtbriefe

In einer Hamburger Kirche steht während der Passionszeit ein Beichtkreuz. Gemeindeglieder können auf Briefen loswerden, was sie belastet. Am Karfreitag werden die Briefe abgehängt – und verbrannt.

Pastorin Friedburg Gerlach mit dem Beichtkreuz
Pastorin Friedburg Gerlach mit dem BeichtkreuzCatharina Volkert

Hamburg. „Dir sind deine Sünden vergeben“, spricht Jesus der Frau zu, die ihm die Füße gesalbt hat (Lukasevangelium 7, 48). Sie ist eine Sünderin, so steht es in der Bibel. Ein Fenster in der Versöhnungskirche erinnert seit 94 Jahren daran. Es zeigt die Salbung Jesu. Das Gesicht der biblischen Frau trägt die Züge einer Eilbekerin: Amalie Hagemann.
Ausgewandert in die USA in den 1920er-Jahren, heiratete die Hamburgerin einen wohlhabenden Mann – aus Fräulein Hagemann wurde Mrs. Floris. „Sie war als Prokuristin im Bankhaus Heckscher tätig“, schrieb 1945 Pastor Julius Hahn in Eilbek. Hagemann hatte ein Gelöbnis abgelegt, so überlieferte er seiner Kirchengemeinde, ihre Gewinne aus ausländischen Aktien der Hamburger Kirche zu stiften. Sie verlangte, die Fußsalbung auf dem Fenster darzustellen – und wünschte sich, dass das Gesicht der Sünderin ihrem gleichen sollte.

Gemeinde schreibt Beichtbriefe

Gut 70 Jahre später steht Pastorin Friedburg Gerlach auf der Empore und blickt auf das Kichenfenster. Das Gesicht der Sünderin fällt ihr auf, es wirkt ernst und erschöpft. Wie Hagemann tatsächlich lebte oder wie alt sie wurde, weiß niemand in ihrer Gemeinde. Einige Meter unterhalb des Fensters befindet sich ein mannshohes Beichtkreuz. Es ist während der Passionszeit an einer Seitenbank befestigt. Ein großer Kasten steht daneben. Er füllt sich bis Karfreitag mit zusammengefalteten Zetteln.
Fräulein Hagemann zeigte sich öffentlich als Sünderin. Die Eilbeker heute benennen unerkannt das, was sie zum Sünder macht. „Jeder kann einen Beichtbrief schreiben und hier einwerfen“, erklärt Pastorin Gerlach. Seit vielen Jahren sei das Tradition.
Die Gemeinde beteiligt sich rege an dem Angebot. Ein besonderes Thema ihrer Predigten sind die Fragen persönlicher Schuld nicht. „Ich überlasse es den Menschen“, sagt die Pastorin. Schließlich geben viele Gottesdienstbesucher einen Brief ab. „Das hat mir gezeigt, dass alle wissen, was Sünde ist – jeder Mensch hat schließlich ein Gewissen“, sagt sie.

Küster verbrennt Briefe

Welche Gedanken und Beichten auf den Briefen stehen, weiß niemand. Die Pastorin öffnet den Kasten, wenn die ersten Gottesdienstbesucher Karfreitag in den Bankreihen sitzen, und befestigt die Zettel am Kreuz. Im Gottesdienst bringt sie es vor den Augen der Besucher zum Altar und bittet Gott um Vergebung. Anschließend entfernt sie die Beichten, sodass das Kreuz frei von allen Sünden zu sehen ist. Dann verbrennt der Küster die Briefe vor der Kirche.
Das Fenster, das die Fußsalbung Jesu zeigt, bleibt auch nach Ostern – mit den Fragen, die es aufwirft. Warum ließ sich Amalie Hagemann dort abbilden? „Dazu hat sie sich damals bewusst entschieden“, sagt Friedburg Gerlach. „Sie hätte sich jede biblische Geschichte aussuchen können, irgendeinen Grund muss sie gehabt haben.“
Info
Die Versöhnungskirche, Eilbektal 15, ist jeden Mittwoch und Freitag von 19 bis 20 Uhr geöffnet. Der nächste Gottesdienst ist am Sonntag, 19. März, um 10 Uhr.