Eine Frage der Geschichte

Der 9. November steht wie kein anderer Tag für die Zerstörung des jüdischen Lebens in Deutschland. Eine Gesprächsrunde anlässlich der Ausstellung „Jüdisches Leben seit 1945“ fragt nach der Bedeutung von Heimat heute.

Der Jüdische Salon will Vermittlungsort und Heimat der jüdischen Hamburger sein. Hier Schriftsteller Tomer Gardi (l.) mit Gastgeber Sebastian Schirrmeister
Der Jüdische Salon will Vermittlungsort und Heimat der jüdischen Hamburger sein. Hier Schriftsteller Tomer Gardi (l.) mit Gastgeber Sebastian SchirrmeisterPrivat

Hamburg. Was macht Heimat aus? Ein Ort? Eine Landschaft? Bestimmte Menschen? Eine Kultur? „Man muss eine Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben“, zitiert Sebastian Schirrmeister den Schriftsteller Jean Améry. Schirrmeister selbst beschäftigt sich auf zweierlei Weise mit dem Begriff: als Literaturwissenschaftler im Bereich der Exilliteratur und als Mitglied des Jüdischen Salons im Grindelviertel – bis heute einem wichtigen Zentrum jüdischen Lebens in Hamburg.

Wer Juden nach dem Begriff Heimat fragt, wird viele verschiedene Antworten erhalten. „Es macht einen großen Unterschied, ob man in Hamburg geborene Juden, Rückkehrer oder Kontingentflüchtlinge fragt, die Anfang der 90er-Jahre aus der Sowjetunion nach Hamburg kamen“, so Schirrmeister. Kultur sei kein Singular. Das gilt auch für den Begriff der Heimat. Sie kann so vieles sein. Und doch: „Man braucht diese Größe, um sich selbst dazu ins Verhältnis zu setzen.“

Heimat, die zum Trauma wird

Wie viel Heimat braucht ein Mensch? Mit dieser Frage wird sich eine Gesprächsrunde am Dienstag, 9. November, beschäftigen. Neben Schirrmeister werden Kirsten Heinsohn von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Karen Körber vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden und Hendrik Althoff von der Uni Hamburg über (Re)Migration und jüdisches Leben in Hamburg diskutieren. Anlass ist der Relaunch der Online-Ausstellung „Jüdisches Leben seit 1945“ des Instituts für die Geschichte der deutschen Juden.

„Wer einmal erlebt hat, wie die eigenen Nachbarn zu Feinden werden, der kann hinter diese Erfahrung nicht mehr zurück“, so Schirrmeister. Das habe Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl und damit auch auf die Heimat. Eine Heimat, die zum Trauma werden kann. Mit Folgen über Generationen hinweg. Denn „in jüdischen Familien sind diese Erfahrungen immer auch ein Teil der Gegenwart“. Das seien Erfahrungen, die sich nicht vermitteln ließen, über die jedoch gesprochen werden müsse. Immer wieder.

Ein Ort der Vermittlung

So ein Gedenktag wie der 9. November sei dazu ein guter Anlass, sagt Schirrmeister. Ein Tag, der wie kein anderer für die Zerstörung des jüdischen Lebens in Deutschland steht. Der Jüdische Salon ist ein solcher Vermittlungsort und Heimat für die verschiedenen jüdischen Positionen. Er ist kein religiöser Ort. „Der Jüdische Salon ist keine Sendeanstalt, sondern der Kern der Veranstaltungen ist das Gespräch“, so Schirrmeister. Gespräche, durch die die Vielfalt, die Widersprüche und die Heterogenität sichtbar werden, die das jüdische Leben und die Kultur ausmachen. „Wir müssen nicht immer einig sein und müssen das auch gar nicht anstreben.“

Oftmals seien Frage wichtiger als die Antworten. Durch sie bliebe das Denken nicht stehen. „Sie sind das Gegenteil davon, einen Schlussstrich zu ziehen.“ Sich erkundigen. Fragen stellen. Den jüdischen Mitmenschen. Den Nachbarn. An jedem Tag. Und ganz besonders am 9. November. In diesem Sinne: Was macht der 9. November mit Ihnen?

Info
Anmeldungen sind bis 8. November per E-Mail an schluesseldokumente@igdj-hh.de möglich. Los geht es um 19 Uhr im Jüdischen Kulturhaus, Flora-Neumann-Straße 1.