Eine Erfolgsgeschichte aus Hannover

Am Mittwoch startet der Kirchentag in Dortmund. In Hannover nahm er seinen Anfang – vor genau 70 Jahren. Eine Zeitzeugin erinnert sich.

Diese drei jungen Besucher kamen im Mai 2005 nach Hannover
Diese drei jungen Besucher kamen im Mai 2005 nach HannoverBertold Fernkorn / epd

Hannover. Unsere 88-jährige Leserin Meta Schacht erinnert sich noch genau, als wäre es gestern gewesen: Zusammen mit hunderten Jugendlichen feierte sie damals Gottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche Hannover. Ziemlich genau 70 Jahre ist das her. Meta Schacht war gerade 18 Jahre alt. „Es war ein unglaublich tolles Gefühl“, erinnert sich die Hannoveranerin. Der Krieg war vorbei, alles ordnete sich neu – und die Jugend war in Aufbruchsstimmung. „Die Kirche wollte die Jugendlichen unter ein christliches Dach bekommen. Wir bekamen damals als Symbol eine Anstecknadel mit einem Kreuz auf einer Weltkugel geschenkt“, so die heute 88-Jährige. „Leider habe ich die Nadel nicht mehr.“

Was Meta Schacht damals noch nicht wissen konnte: In Hannover begann die Erfolgsgeschichte des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Und sie war dabei. Nur dass die mehrtägige Veranstaltungsreihe, die vom 28. Juli bis 1. August 1949 in der Stadt an der Leine stattfand, zu dem Zeitpunkt noch Deutsche Evangelische Woche hieß. Erst im Nachhinein wurde das Treffen offiziell zum Kirchentag erklärt.

Gegen die Pastorenkirche

„Die Initiatoren des Kirchentags hatten erkannt, dass es nach der Katastrophe des Dritten Reichs und dem Versagen der Kirche eine Gegenbewegung zur Pastorenkirche brauchte. Mit der Evangelischen Woche nahm man an eine Tradition auf“, so Martin Cordes. Der promovierte Kirchengeschichtler und Professor für Religionspädagogik hat zur Evangelischen Woche und zu den Anfängen des Kirchentags in Hannover geforscht. Einer der Ideengeber sei Reinold v. Thadden-Trieglaff gewesen, so Cordes weiter. „Der Berliner Jurist sah in einem regelmäßigen Treffen mit vielen beteiligten evangelischen und missionarischen Werken und Verbänden einen entscheidenden Pionierdienst für die Kirche.

Das Treffen sollte ein kreativer Vortrupp sein, der die Möglichkeiten des kirchlichen Wirkens erkunden und ihren missionarischen Auftrag stärken sollte“, so der Kirchengeschichtler. „Von der Kirche sollten künftig heilende Kräfte ausgehen.“ Von Thadden-Trieglaff und der hannoversche Landesbischof Hanns Lilje als Gastgeber knüpften dazu an die Struktur der so genannten Deutschen Evangelischen Woche an, eine missionarische Sammlungsbewegung, die anfangs der 30er Jahren regelmäßig Christen zusammenrief, bis sie verboten wurde, erklärt Cordes.

„Kirche braucht Fantasie“

Nach 1949 fanden noch drei weitere Kirchentage in Hannover statt: 1967, 1983 und 2005. Im Laufe der Jahre hat sich mit Gottesdiensten, Bibelarbeiten und Vorträgen, dem Abend der Begegnung und dem Markt der Möglichkeiten ein Schema aus geistlichen, kulturellen und thematischen Angeboten herausgebildet, das dem Kirchentag seither als fester Rahmen dient. Die Grundlagen seien allerdings annähernd dieselben wie vor 70 Jahren.

„Schon die Deutschen Evangelischen Wochen sahen sich als gemeinsames Hören, Bekennen und Handeln“, sagt Cordes. Auch mit der Betonung und Einbindung von Laien stehe der Kirchentag im Kern in der Tradition des Vorläufers, ebenso mit der Aufnahme unterschiedlicher theologischer und kirchenpolitischer Positionen. „Bis heute prägt der Kirchentag die Kirche,“ sagt Martin Cordes. Vor allem im Hinblick auf die Frömmigkeit und die politische Diskussion sei das Christentreffen nach wie vor eine Chance für die Kirche. Im Laufe der Jahre sei das Element der Feier jedoch immer wichtiger geworden. „Ich wünsche dem Kirchentag weiterhin viel Dynamik“, sagt Martin Cordes. „Die Kirche braucht Fantasie, wenn sie sich für eine gerechte Gesellschaft engagieren will.“