Eine Bibel auf Abwegen
Diebe hatten 2014 die wertvolle Bugenhagen-Bibel von 1533 erbeutet. Jahrelang war die wertvolle Schrift verschwunden, nun wurde ihre Wiederkehr gefeiert.
Wingst. Selbst die kühnsten Optimisten hätten nicht daran geglaubt, dass die Bugenhagen-Bibel ihren Weg zurück in die Wingst findet. Zu mysteriös waren die Umstände ihres Verschwindens vor nahezu sechs Jahren aus dem Kirchenbüro, zu verworren ihre Wege in der Zwischenzeit. Umso schöner war es für die Mitglieder und Verantwortlichen der Kirchengemeinde Cadenberge-Wingst, ihre Bibel aus den Händen der Kriminalpolizei fast unversehrt wieder in Empfang nehmen zu dürfen.
„Ich war der Erste, der morgens am 20. September 2014 das Büro betrat, in dem ein völliges Chaos herrschte“, erinnert sich Pastor Bert Hitzegrad. „Was fehlte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht überblicken. Es war bekannt, dass die Bibel bei uns lagert. Ich glaube bis heute an eine Auftragsarbeit. Die Bibel wurde zielgenau neben anderen alten Kirchenbüchern geklaut.“
Freiluft-Gottesdienst feiert Wiederkehr der wertvollen Schrift
Mit einem Freiluft-Gottesdienst vor dem Bugenhagenhaus, der Ortskirche in der Wingst, die mit der Kirche St. Nicolai in Cadenberge die Kirchengemeinde Cadenberge-Wingst bildet, wurde die Rückgabe des wertvollen Buches jetzt gefeiert. Pastor Hitzegrad skizzierte dabei den Weg der 487 Jahre alten Schrift in die Wingst.
In den Nachkriegsjahren sei der Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus in der Wingst immer größer geworden. Den Menschen war der Weg zum Gottesdienst nach Cadenberge zu weit. Amerikanische Auswanderer, die Familien Fick und Winter, hörten den Wunsch nach einem eigenen Kirchenraum, sammelten dafür Geld und griffen selbst tief ins Portemonnaie. Nach nur anderthalb Jahren Bauzeit wurde das Bugenhagenhaus am 23. Juni 1957 feierlich eingeweiht.
Die kleine Kirche in Westerhamm erhielt ihren Namen von einem Mitstreiter Martin Luthers, Johannes Bugenhagen, und August Winter schenkte der Kirchengemeinde eine historische Bibel. Bis zu ihrem Diebstahl wurde die Heilige Schrift immer zur Feier des Kirchweihfestes aus dem Tresor geholt und der Öffentlichkeit präsentiert. Bedeutend ist sie, weil sie noch vor der ersten hochdeutschen Bibel von Martin Luther als Gesamtausgabe im Jahr 1533 erschien. Von ihr gibt es nur noch wenige erhaltene Originalausgaben: in München, Berlin, Braunschweig und nun auch wieder in Westerhamm.
Plötzliches Angebot aus dem Rocker-Milieu
Die Ermittlungen leitete Kriminalhauptkommissar Dirk Stehrenberg, der die Bibel auch nach Wingst zurückbrachte. Für ihn und sein Team war dies nur ein Fall in einer ganzen Reihe von Kircheneinbrüchen. Viel Hoffnung auf eine Wiederbeschaffung der Bibel machte er den Cadenbergern damals nicht. „Im Regelfall landen solche wertvollen Stücke in privaten Sammlungen und tauchen nicht mehr auf. Schlimmstenfalls werden sie sogar vernichtet.“ Trotzdem ging Stehrenberg mit dem Fall an die Öffentlichkeit, nutzte die Gelegenheit, ihn in einer Sondersendung von „Aktenzeichen XY“ vorzustellen. Es gab viele Rückmeldungen, aber nichts Konkretes.
Bewegung in die Sache kam erst im Februar 2019
Ein Mann aus dem Rockermilieu trat an den „Spiegel TV“-Reporter Claas Meyer-Heuer heran. Er bot ihm eine Bibel an, die er von einem Dieb bekommen haben will, der damit seine Spielschulden begleichen wollte. Der Rocker sah die gestohlene Bibel angeblich als schlechtes Omen, gab sie dem Journalisten, damit dieser sie zur Polizei bringen konnte. Der Reporter erinnerte sich an den Diebstahl in Cadenberge und legte auf dem Weg zur Cuxhavener Polizei beim ehemaligen Superintendenten Hilmar Menke einen Zwischenstopp ein. Menke erkannte die Bibel sofort wieder. Da Journalisten das Recht haben, ihre Quellen zu verschweigen, ließ sich der Weg von der Bibel zu den möglichen Einbrechern nicht ermitteln.
Stattdessen folgte eine aufwendige Untersuchung der Bibel auf Spuren. Jede Seite wurde einzeln mit Spezialgeräten abgetastet. „Ob das zu den Tätern führen wird, wissen wir nicht. Aber die Technik schreitet immer weiter voran, und vielleicht landen wir doch irgendwann einen Treffer“, erläutert Stehrenberg die Vorgehensweise. Ihm war es dann auch vorbehalten, die Bibel wieder an die Gemeinde zurückzugeben.
Der Dank dafür war Stehrenberg gewiss. Genauso wie der Umstand, dass die Bugenhagen-Bibel künftig an einem sicheren Ort gelagert würde. „Das wird nicht unter meinem Bett sein“, so Pastor Hitzegrad mit einem Augenzwinkern.