Trotz immer noch zunehmender Literatur über Friedrich Weißler (1891–1937) bleibt dieser gebürtige Jude, der zum ersten christlichen Märtyrer im Widerstand gegen den Nationalsozialismus wurde, selbst unter Christen ein weithin Unbekannter. Aber seit dem Nachmittag des 26. Septembers gibt es auch auf dem Gehsteig der Wilhelm-Raabe-Straße 9 in Magdeburg einen Stolperstein für den am 19. Februar 1937 im KZ Sachsenhausen brutal ermordeten juristischen Leiter der Kanzlei der Bekennenden Kirche der Deutschen Evangelischen Kirche in Berlin. Die Erinnerung an ihn kann nicht genug Stolpersteine, Gedenktafeln und -orte bekommen.
An der Meiningenallee 7 im Berliner Neu-Westend, wo Weißler mit seiner Familie zuletzt wohnte, existiert schon länger ein Stolperstein für ihn selber und ein weiterer für seine jüdische Mutter Auguste Weißler. Sie überlebte 83-jährig die Deportation nach Theresienstadt im Juni 1943 nur um wenige Monate. Weiterhin erinnern Gedenktafeln am Haus Meiningenallee 7, im KZ Sachsenhausen sowie im seit 2008 nach Friedrich Weißler benannten Landgericht Magdeburg an diesen Widerstandskämpfer. Sein Name und Schicksal sind auch auf einem der sieben Stolpersteine eingraviert, die am 13. Mai vor dem Landgericht Magdeburg für sieben von dem Hitlerregime aus dem Amt gejagten jüdischstämmigen Richtern verlegt wurden.
Familie bis zum Kriegsende in Gefahr
Auf dem Gehsteig der Wilhelm-Raabe-Straße sind es nun fünf Stolpersteine. Sie gelten Friedrich Weißler, seiner jüdischen Mutter, seiner Ehefrau Johanna Weißler und den Söhnen Ulrich und Johannes. Sie mussten nicht nur den Tod ihres Sohnes, Ehemanns und Vaters mit erleiden, sondern blieben bis in den Krieg und das Kriegsende tödlich bedroht oder schwer belastet. Ulrich konnte in einem der letzten Kindertransporte im August 1939 nach England entkommen. Sein jüngerer Bruder Johannes musste, an verschiedenen Orten versteckt und noch 1944 zwangsrekrutiert für Bauarbeiten der Organisation Todt in Coswig, die Terrorzeit in Deutschland überstehen.
Wie schon im Frühjahr vor dem Magdeburger Landgericht, gehörten am 26. September auch die beiden Enkel Weißlers, Kinder des Sohns Johannes, zu den etwa 30 Personen, die an der Einfügung der Stolpersteine teilnahmen. Bettina Weißler-Ried war extra aus Brasilien dazugekommen, ihr Bruder Ulrich aus dem fränkischen Höchstedt an der Aisch. Schon am Vorabend hatten die beiden in der nahe gelegenen Pauluskirchengemeinde, kurzfristig Weißlers Gemeinde, während eines Gesprächsabends vom Schicksal ihrer Familie berichtet und Fragen beantwortet. Beide konnten aus einem reichhaltigen Familienarchiv schöpfen. Es diente auch dem 2016 verstorbenen Vater Johannes für sein Büchlein „Die Weißlers“ (2011) sowie Manfred Gailus für seine Biografie „Friedrich Weißler“ (2017) und zuletzt Julia Schilling für ihre Dissertation über Weißler als Richter und juristischer Schriftsteller (2023).

Geflohen ins anonyme Berlin
Friedrich Weißler, geboren 1891 in Oberschlesien, wurde als Kleinkind christlich getauft und dementsprechend erzogen. Weißler und seine beiden Brüder waren wie ihr jüdischer Vater Adolf erfolgreiche Richter und Editoren juristischer Standardwerke mit deutlich sozialer Einstellung. Doch kaum zum Landgerichtsdirektor in Magdeburg ernannt und von Halle dorthin umgezogen, wurden er und die Familie durch antisemitische Diskriminierung jäh gesellschaftlich isoliert. Sie flohen ins anonyme Berlin. Es folgt wie für unzählige Menschen jüdischer Herkunft die Entlassung aus dem Staatsdienst im August 1933.
Eine Atempause wird der Familie 1934 durch die Anstellung des Vaters bei der Bekennenden Kirche gewährt. Zwei Jahre später dann die Verhaftung Weißlers durch die Gestapo aufgrund der Verdächtigung, die „Denkschrift“ der Bekennenden Kirche an Hitler 1936 an die ausländische Presse weitergegeben zu haben. Statt sich tatkräftig für ihn einzusetzen, distanziert sich die Leitung der Bekennenden Kirche von ihrem Chefjuristen. Schließlich wird Weißler in das KZ Sachsenhausen verlegt, wo ihn am 19. Februar zwei antisemitische Wächter nach übelsten Schmähungen als „Judenschwein“ und körperlichen Misshandlungen aufs grausamste ermordeten. Für die Familie begannen schwere Jahre der Entbehrung.
Kraft in schwierigsten Zeiten
Die Worte der beiden Enkel bei der Stolpersteinverlegung am 26. September zeigen eine große Dankbarkeit dafür, dass sie ihr Leben dem Überleben von Frau Weißler mit den Söhnen verdanken. Der Kreis auf dem Gehsteig der Wilhelm-Raabe-Straße ist jedoch klein. Kein Fenster der umliegenden Häuser öffnet sich, damit jemand sehe, was da geschieht. Irgendwie ein Zeugnis einstiger Gleichgültigkeit. Eine junge Frau bekennt, aus einem benachbarten Haus gekommen zu sein, um zu erfragen, was hier geschieht. Es ist eine Syrerin, die in Damaskus Architektur studiert hat und nun in Magdeburg arbeitet. Sie sagt, sie wolle auf die Steine achten. Jemand ergänzt: Noch wichtiger sei die proaktive Erinnerung gegen die Wiederholung von dem, was einst mit rassistischer Diskriminierung von Juden anfing, schließlich einen Weltenbrand verursachte und Millionen Juden wie Nichtjuden den Tod brachte.
In einem Nachgespräch mit den Enkeln war zu erfahren, dass Johanna Weißler, die Frau von Friedrich Weißler, in ihren letzten Lebensjahren im Ostpreußendamm 23a in Berlin-Lichterfelde gewohnt hat. Im Jahr 1978 verstarb sie und wurde auf dem dortigen Parkfriedhof beerdigt. Erst nach der Wiedervereinigung konnten ihre sterblichen Reste auf dem Südwestkirchhof Stahnsdorf umgebettet werden. Dort, wo ihr Mann nach seinem grausamen Tod am 25. Februar 1937 im Beisein einer großen Gemeinde, darunter NS-Schergen in Zivil und Uniform, beerdigt worden war. Sein Grabstein mit dem biblischen Vers „Fürchte dich nicht, glaube nur“ (Lukas 8,50) zeugt von dem, was ihm Kraft und Hoffnung in schwerster Zeit gab. Nun hat der Autor dieser Zeilen, der unweit jenes Hauses am Ostpreußendamm wohnt, einen ganz eigenen Gedenkort an die Familie Weißler.
Der promovierte Theologe Wilhelm Hüffmeier war Leiter der Kirchenkanzlei der Union Evangelischer Kirchen (UEK). Er war Vorsitzender des Gustav-Adolf-Werkes der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, später der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Präsident des Gustav-Adolf-Werkes mit Sitz in Leipzig.
